«Meine Lebenslust ist viel grösser, seit ich so alt bin» - demenzjournal.com

90plus

«Meine Lebenslust ist viel grösser, seit ich so alt bin»

«Mit dem Denkvermögen hat das Gedächtnis wenig zu tun, und das Erstere ist bei mir intakt, ich finde es sogar eher kla­rer als früher», sagt Leni Altwegg. Bild Marc Bachmann

Immer mehr Menschen werden über neunzig und haben grosse Lebenslust. Im Buch «90plus» porträtieren Marianne Pletscher (Texte) und Marc Bachmann (Fotos) sieben Frauen, einen Mann und ein Ehepaar. Lesen Sie hier das Porträt der ehemaligen Pfarrerin und Anti-Apartheid-Aktivistin Leni Altwegg (95).

«Ihr Mittelalten habt keine Ahnung, was in unserem Alter die grössten Pro­bleme sind.» Es war fast eine kleine Publikumsbeschimpfung, die Leni Altwegg, eingeladen als «echte Hochaltrige» an einem Kongress zum Thema «Hohes Alter zwischen Sinnerfüllung und Sinnverlust» in den vollen Saal rief.

Ich war fasziniert von ihrer Rede und erinnerte mich: Vor fast vierzig Jahren hatte ich sie erstmals getroffen, als aktives und sehr engagiertes Mitglied der Anti­-Apartheid­-Bewegung. Schon damals konnte sie sich empören, jede Form der Ungerechtigkeit war ihr ein Graus.

Ich bat sie später, zu einem Buch, das ich plante, einen Text über Demenz zu schreiben. Der Satz «Ich empfinde es als Übergriff, wenn fremde Hände mich ungefragt packen und mir helfen wollen, man traut mir nicht mehr zu, dass ich selber auf mich aufpassen kann», beeindruckte mich zutiefst. Weiter schilderte sie in diesem Text ihre Reaktion auf einen Film zum Thema Demenz, den sie am selben Kongress gesehen hatte: «Ein Zukunftsbild, das mich in die Arme von ‹Exit› treiben würde – rechtzeitig wohlverstanden!»

Gute Fitness mit bald 100

Worte, die man von einer protestantischen Theologin nicht unbedingt erwarten würde. Allerdings war Leni ihr ganzes Leben lang unkonventionell, und ihre geistige Fitness beeindruckt heute genauso wie früher.

Sie schrieb weiter: «Ich kann mich recht gut abfinden mit der Abnahme des Gedächtnisses. Mit dem Denkvermögen hat das Gedächtnis wenig zu tun, und das Erstere ist bei mir intakt, ich finde es sogar eher kla­rer als früher.» Dieser Text brachte mich auf die Idee, mit Personen wie Leni, die im hohen Alter so viel zu sagen haben, ein Buch zu veröffentlichen.

Leni Altwegg.Marc Bachmann

Leni ist auch körperlich trotz Schmerzen und steifen Gliedern recht fit. Seit sechs Jahren lebt sie in einer Seniorenresidenz, in einer geräumigen Eineinhalbzimmerwohnung mit Kochgelegenheit. Hier fand sie Platz für ihre Lieblingsmöbel, Bett, Esstisch, Ruheecke und Schreibtisch.

Fotos ihrer Familie und die ihr wichtigsten Bücher stehen im dreiteiligen Regal, darunter meh­rere Bibeln. «Der Moment war gekommen, meine Dreieinhalbzimmerwoh­nung und die vielen Bücher loszulassen. Jetzt muss ich nichts mehr, nicht kochen, nicht putzen, ich darf nur noch.»

Sie weiss das Privileg, das die kom­fortable Residenz bietet, zu schätzen. Sie macht sich Frühstück, kocht selten etwas Kleines, isst meist mittags im gediegenen Speisesaal und geniesst den Luxus. «Man wird da als Mieterin angesprochen, nicht als Insassin oder Pati­entin, man behält die Würde, und das ist sehr wichtig.» Leicht ironisch sagt sie: «Selbständig wohnen in einer Residenz ist eben schon etwas Besseres als in einem Heim. Aber leider können sich das nicht alle leisten.»

Leni Altwegg, Tochter eines Primarlehrers, hat Theologie auf dem zweiten Bildungsweg studiert, nachdem ihr klar geworden war, dass der Beruf als Laborantin sie nicht ausfüllte. «Vorher lag Studieren finanziell für mich einfach nicht drin. Einer meiner Brüder sagte immer, ich werde Arzt und gehe zu Albert Schweitzer, und du kommst dann mit als Krankenschwester. Er hat mir auch immer zu verstehen gegeben, ich sei nicht sexy.»

Gegen Heirat entschieden

Das führte zu einem Gefühl der Unterlegenheit, das sie erst viel später feministisch ein­ordnen konnte. Vorerst lebte sie ein konventionelles Leben, war mit 27 ver­lobt und ist stolz, dass sie die Verlobung auflöste. «Erst viel später wurde mir bewusst, dass ich weniger gegen den Mann, sondern gegen den Status des Verheiratetseins rebellierte.» Als sie Pfarrerin in Schlieren wurde, staunte sie noch, wie viel Aufsehen das erregte, ihr war nicht bewusst, dass sie 1965 als eine der ersten Frauen in der Schweiz im Pfarramt eine kleine Sensation war.

Leni Altwegg ist auch körperlich trotz Schmerzen und steifen Gliedern recht fit.Marc Bachmann

«Ich fand es immer lustig, dass ich Pfarrerin sein durfte und noch nicht mal das Stimmrecht hatte.» Damals war sie Mitglied der Evangelischen Volkspar­tei EVP, nicht zuletzt deshalb, weil die Partei die Frauen ernst nahm und sie intern auch abstimmen liess. «In Schlieren waren damals viele in der EVP, die sich nicht in die SP trauten, ich gehörte auch dazu.»


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Sie nahm am Anfang ihrer Amtszeit die Mutter und für die ganze Zeit seines Lebens den behinder­ten Bruder zu sich, insgesamt 23 Jahre lang, auch als sie später Pfarrerin in Adliswil wurde. Weil damals allein lebende Pfarrerinnen oft schief angeschaut wurden, vermutet sie, dass diese familiäre Unterstützung viel zu ihrer Akzep­tanz in den Gemeinden beitrug: «Das machte mich irgendwie ungefährlich.»

Die Frage, ob sie wegen der Betreuung des Bruders nicht geheira­tet habe, verneint sie. «Nein, es war da schon zu spät – ich habe nicht immer zölibatär gelebt, aber ich glaube, ich hatte auch kein besonderes erotisches Talent. Kurze Zeit tat es mir weh, nicht verheiratet zu sein, aber das ist längst vorbei. Eine Zeitlang hatte ich auch noch eine Beziehung mit einem jüngeren Mann. Es hat dann doch nicht sein sollen.»

Seit sechs Jahren lebt Leni Altwegg in einer Seniorenresidenz, in einer geräumigen Eineinhalbzimmerwohnung mit Kochgelegenheit.Marc Bachmann

In Adliswil trat sie dann aus der EVP aus. «Die waren so rechts, es war nicht zum Aushalten. Alle meinten dann, ich sei in der SP, aber ich bin kein partei­politischer Mensch, Parolen vertreten liegt mir nicht.» Eigentlich wurde sie nur aus Zufall Pfarrerin, weil sie etwas «Soziales, etwas mit Menschen» suchte. Im Theologiestudium interessierten sie primär die Philosophie, die Altphilo­logie und die Archäologie. Später liebte sie aber den Beruf auch deshalb, weil er ihr klare Strukturen gab, und das liege ihr.

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«Doch heute bin ich der Mei­nung, die Kirche sei ein Auslaufmodell. Ich bin ein durch und durch unlitur­gischer Mensch, ich bräuchte für die Religion keine Zeichen und Rituale. Es mag seltsam tönen, aber am meisten liebte ich Abdankungen, da kommt man den Menschen am nächsten. Allerdings musste ich immer aufpassen, dass ich nicht weinen musste, wenn ich über eine mir nahestehende Per­son sprach – ich bin so nahe am Wasser gebaut. Einmal gab mir die Toch­ter eines Verstorbenen, den ich sehr liebte, ein Valium, damit ich durchhielt, ohne in Tränen auszubrechen. Von da an nahm ich bei Abdankungen oft Beruhigungstabletten.»

Feministische Theologie

Ihre wahre Karriere hat sie nebst der Pfarreitätigkeit in Gremien wie den Frauen für den Frieden und dem Evangelischen Frauenbund gemacht. Dort wurde sie mit feministischer Theologie konfrontiert, auch mit feminis­tischer Bibeldeutung. «Das fand ich phantastisch, auf diese Art interpretiert interessierte mich die Bibel viel stärker als früher. Immer häufiger erlebte ich Theologie im Zusammenhang mit soziologischen und historischen Einsich­ten als eine zutiefst menschliche Wissenschaft.»

Dank dem Evangelischen Frauenbund fand sie dann auch zum Thema, das über Jahrzehnte ihre Pas­sion war: die Anti­-Apartheid­-Bewegung. Sie wurde eingeladen als Delegierte des Reformierten Weltbundes in Nairobi. «Ich kam mir wie ein ‹Nüteli› vor im hochkarätigen Gremium der Schweizer Delegation. Mein Emanzipations­prozess begann nachher.» Sie wollte näher bei den Problemen der Betroffe­nen sein und flog allein nach Südafrika weiter, eingeladen vom Christlichen Institut für Rassenfragen.

Selbstsicherheit trägt viel zur Lebensfreude bei.Marc Bachmann

Im Gegensatz zu den eher konservativen weissen Delegierten des Weltbundes traf sie hier auf engagierte Anti-­Apartheid-­Akti­vistinnen aller Hautfarben. «Die absolute Rassentrennung war ein Schock für mich, ich durfte auch nirgends allein hingehen, schwarz war gleich gefährlich, und wie die Leute auf der Schweizer Mission über die Schwarzen sprachen, war grauenhaft.»

Als 1974 die Schweizer Anti­-Apartheid­-Bewegung gegrün­det wurde, war sie selbstverständlich dabei und wurde zu einer zentralen Figur der sehr aktiven Gruppierung. Sie reiste insgesamt fünfzehnmal nach Südafrika, und ihre Wohnung stand immer offen für Gäste, sie nannte sie das «Hotel Südafrika».

«Das Einzige, was mir nicht gefiel, war das Demonstrie­ren, das war mir ein Schreck. Was ich liebte, war das Informieren der Leute, das Erzählen von meinen Besuchen in den Slums, von den tollen schwar­zen Menschen, die ich getroffen hatte. Denn meine Interessen entwickelten sich immer sehr stark über Beziehungen.»

Wegen ihres Engagements in der Anti-­Apartheid­-Bewegung durfte sie ein paar Jahre nicht mehr nach Süd­afrika reisen und wurde von der Schweizer Bundespolizei fichiert. «Als mich Jürgmeier in sein Buch über ‹Staatsfeinde› aufnahm, in dem ‹Fichenopfer› (so nennt Jürgmeier die fichierten Menschen) porträtiert wurden, war das für mich eine wichtige Bestätigung, dass ich auch als Linke wahrgenommen wurde.»

«Ich hatte immer eine Tendenz, meine Rolle zu unterschätzen. Auch das ganze Südafrika­-Engagement ist fast aus einem Zufall entstanden, wie vieles andere in meinem Leben. Wenn es für mich einen persönlichen Gottes­beweis gibt, dann ist es mein Leben, es wurde immer irgendwie gelenkt. So vieles ist ohne mich oder sogar gegen mich passiert, und es kam alles richtig gut raus. So einen Satz hätte ich vor zehn Jahren noch nicht sagen können, das ist eine völlig rationale Alterserkenntnis.»

«Information über Demenz bleibt zentral demenzjournal.com leistet einen wichtigen Beitrag dazu.»

Felix Gutzwiller, Sozial- und Präventivmedinziner, alt-Ständerat

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Bis heute Kontakte nach Südafrika

Südafrika prägt ihr Leben noch heute. Sie informiert sich weiterhin, auch wenn die letzten Jahre mit dem korrupten Präsidenten eine riesige Ent­täuschung waren und bis jetzt mit dem neuen Präsidenten erst leise Hoff­nung auf bessere Zeiten aufkommt.

Viele ihrer sozialen Kontakte stammen noch aus jenen Jahren. Mit einer Frauengruppe hat sie regelmässig soge­nannte Arbeitsblätter zu Südafrika herausgegeben, auch als das «Neue Süd­afrika» bereits Realität war. «Der Kampf und die Aufklärungsarbeit waren ja nicht zu Ende. Aus dem Verkaufserlös dieser Arbeitsblätter konnten wir regel­mässig Frauen aus Südafrika in die Schweiz einladen. Und das Schöne ist, wir treffen uns immer noch, die Verstorbenen haben wir durch Neue ersetzt, auch viele jüngere Frauen sind dabei.»

«Ich kann heute klarer denken», sagt Leni Altwegg.Marc Bachmann

Bedingt durch ihr reiches Leben hat Leni einen grossen Freundeskreis. «Den habe ich gepflegt, und zwar zum Teil sehr bewusst. Im letzten Jahr, in dem ich nicht mehr so viel ausging, hatte ich wahnsinnig viel Besuch.»

Als ich sie ein halbes Jahr vor dem ersten Gespräch für dieses Buch zu einer Aufführung eines Theaterstücks aus Südafrika einlud, lehnte sie ab: «Ich bin viel schneller müde als früher, und das ist nicht nur physisch, es hat auch mit mangelndem Interesse zu tun. Ich war immer kunstinteressiert, weil man das halt so zu sein hat. Und jetzt bin ich alt genug, um mir zuzugeben, dass mich Konzerte, Theater und Ausstellungen gar nicht mehr so extrem interessieren. Ich verschwende jetzt nicht mehr so viel Kraft an Sachen, die zweitrangig sind. Das hat eben auch damit zu tun, dass ich viel klarer den­ken kann. Ich musste zuerst lernen, dass nicht mehr alles nötig ist. Dass ich jetzt nichts mehr muss, das finde ich grossartig.»

Sie ist dann später doch nochmals mitgekommen, zur Aufführung eines Theaterstücks über Namibia. Ich hatte extra ein Stück ausgewählt, das auch für Schwerhörige empfoh­len wurde. Leni meinte anschliessend: «Es war schön, aber wirklich das letzte Mal. Weisst du, es geht nicht nur ums Hören. Es liegt nämlich nur ganz wenig am Gehör, sondern an der Leitung! Die ist so verlangsamt, dass das Gehirn die empfangenen Impulse nicht in nützlicher Zeit verarbeiten kann. Meine Akustikerin hat mir recht gegeben, als ich bei der ersten Untersuchung sagte: Das liegt nicht den Ohren, sondern am Gehirn. Das hat nichts mit Intelligenz zutun – nur mit dem Tempo der Verarbeitung.»

In der Kirse Exit beigetreten

Den neunzigsten Geburtstag bezeichnet Leni Altwegg als den bei weitem wichtigsten Jahrzehntewechsel in ihrem Leben. Kurz davor lag sie schwer krank im Spital, hatte nach einer Operation grosse Schmerzen.

«Ich dachte, Gottfriedstutz, ich will eigentlich nicht mehr, wie lange dauert das bloss noch. Und erinnerte mich daran, dass ich Mitglied der Sterbehilfeorga­nisation Exit bin. Ich rief meine Nichte an, ihr Mann kam sofort vorbei, und ich bat ihn, mit Exit Kontakt aufzunehmen. Er sagte seelenruhig, das sei kein Problem, er könne mich begreifen. Und schon war der Druck weg, ich beschloss, das Wochenende noch abzuwarten. Und dann war der Wunsch zu sterben wieder vorbei. Ich konnte dann meinen Geburtstag, den ich vorher organisiert hatte, mit Zauberkünstler und allem, was dazugehört, richtig geniessen. Ich glaube, es war das gelungenste Fest, das ich je organisiert habe. Und heute, mit 94, geht es mir viel besser als damals.»

Exit und Theologin? Für Leni Altwegg ist das kein Widerspruch. «In erster Linie ist es für mich eine Versicherung, das zeigt mein Verhalten im Spi­tal. Gott könne das nicht zulassen, sagen viele. So ein Schmarren! Wenn Gott den Freitod ausschliessen würde, müsste man im Grunde auch die Schmerz­bekämpfung verbieten, die Schmerzen kämen dann auch von ihm, so wie alles Gute ebenfalls. Aber so denke ich nicht, dachte ich nie. Je näher ich mich mit der Idee ‹Gott› befasste, desto schwieriger wurde es, über ihn zu reden.»

Lesen und schreiben gehören zum Alltag.Marc Bachmann

Anders denkt sie über den freiwilligen Alterssuizid, ein Thema, mit dem sie sich auch intensiv auseinandergesetzt hat: «Ich glaube schon, dass man es erlauben sollte. Aber es passt nicht in meinen Vorstellungskreis. Man muss einen Grund haben, sich umzubringen, man kann mit dem Leben nicht so liederlich umgehen und es einfach wegschmeissen.»

«Vielleicht wenn man alleinstehend und einsam ist, ist das anders. Ich habe ja immerhin noch Nich­ten und Neffen. Ich möchte mit einem Suizid auch andern Leuten keinen Schuldkomplex verursachen. Ich bin manchmal schon auch lebenssatt und möchte gehen, andererseits ist meine Lebenslust viel grösser, seit ich so alt bin. Es ist mir viel klarer, wer ich bin. Lange hat die Beziehung zu mir selbst sehr viel Unsicherheit beinhaltet.»

«Jetzt bin ich selbstsicherer, und das trägt viel zu meiner Lebensfreude bei. Ich habe erst jetzt angefangen, wirklich zu geniessen – mir zu erlauben, auch mal den halben Tag rumzuliegen und nichts zu tun, das ist eine Genussfähigkeit, die ich früher nie hatte. Früher musste ich mich immer an meiner Leistung messen. Aber hundert werden will ich bestimmt nicht. Ich war vor kurzem an der Beerdigung einer hundertjähri­gen Freundin, die selbstbestimmt aus dem Leben geschieden ist. Das hat mir sehr imponiert. Auch dass sie sich neben den üblichen Abdankungsschlagern ‹z’Basel a mim Rhy› und ‹s’Ramseyers wei go grase› gewünscht hat, fand ich super. Alle sangen, und es herrschte eine ausgesprochen fröhliche Stimmung. Was soll ich mir bloss wünschen, wenn es so weit ist? ‹Nkosi sikelele Africa›, die südafrikanische Nationalhymne? Nein, das ist zu patriotisch.»

«Ich nütze niemandem mehr»

Manchmal ist Leni auch sehr ambivalent: «Ich nütze ja nieman­dem mehr, und alte Leute gibt es sowieso zu viele», meint sie, während sie noch kurz zuvor sagte: «Ich werde gerne zum Thema Alter und Lebensende befragt, da bin ich Fachfrau. Auch hier in der Residenz habe ich als Fach­frau noch eine Funktion – ich diene als Bindeglied zur Kirche und nehme an den monatlichen Gesprächen über die Bibel teil. Da gebe ich dann oft sehr ungehemmt meinen theologischen Senf dazu. Die Leitung und die Ange­stellten schätzen mich, das tut gut. Auch bei der Singgruppe bin ich dabei. Aber eigentlich mehr aus Pflichtbewusstsein, weil so wenige noch singen mögen. Ich kann auch noch kompetitiv sein, wenn es Sinn macht. Zusam­men mit andern Autorinnen schreibe ich die ‹Bolderntexte›. Und da freut es mich immer ungemein, wenn ich höre, meine Texte würden zu den besten gehören.»

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Als wären es seine Brüder. So erlebt unser Autor, der Arzt Michael de Ridder, ein Wiedersehen mit seinen Mitschülern nach 50 Jahren. weiterlesen

Sagt’s, setzt sich an den Computer und druckt mir ein paar Texte aus. Alle nehmen Themen auf, über die wir zusammen gesprochen haben, zum Beispiel (gekürzt): «Der Herr heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden (Psalm 147, 3.): Immer wieder einmal habe ich Mühe mit solchen Trost­-Texten. Man kann sie ja nicht einfach eins zu eins annehmen … Das Übel bleibt in der Welt, und wir werden es in irgendeiner Form immer wieder einmal erleiden – oder auch verursachen, auch ich. Was habe ich also davon, wenn ich an die Möglich­keit einer göttlichen Heilung glaube? – dafür bete? … Garantien gibt es nicht, nie. Aber Hoffnung versetzt Berge, heute wie eh und je. Wer wagt, gewinnt – mindestens mehr Selbstvertrauen. Und auch das ist ein gutes Gefühl …»