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Alzheimer und wir

Gute Tipps für Elternkümmerer

«Die Eltern haben ein eigenes Leben. Uns ist in der Regel nicht bewusst, was sie alles bewältigen», sagt Petra Wieschalla. Bild Fotokunst Irmgard Brand

Müssen wir uns um unsere kranken Eltern kümmern? Petra Wieschalla möchte, dass wir uns zuerst fragen, warum wir es tun wollen. Peggy Elfmann sprach mit der Demenz-Beraterin über Erwartungen, Entlastungen und Veränderungen.

Bin ich eine pflegende Angehörige? Lange habe ich mich einfach nur als Tochter einer Mutter mit Alzheimer gesehen – und das obwohl ich mich von Anfang an auch gekümmert habe. Aber mein Papa war immer und ist noch der direkt Pflegende.

Mein Bruder und ich sind jedoch immer mehr involviert, auch, weil mein Papa zunehmend Unterstützung braucht – und sie nach und nach auch zulässt. Wir machen es gerne, aber wir merken auch, dass dieses Kümmern eine grosse Aufgabe ist und viel Zeit und Kraft kostet.

Petra Wieschalla ist Angehörigen-Coach und Demenz-Beraterin aus Offenbach. Ihr ist es ein grosses Anliegen ihre Erfahrungen als Angehörige von pflegebedürftigen Eltern weiterzugeben. Das tut Petra Wieschalla in ihren Beratungen, Vorträgen, Online-Programmen und seit kurzem auch mit ihrem Buch «Überlebenstipps für Elternkümmerer. Eltern begleiten, Fallen vermeiden».

Peggy Elfmann: Liebe Petra, am Anfang deines Buches schreibst du: «Sie müssen sich nicht um Ihre Eltern kümmern. Aber Sie können sich dafür entscheiden.» Wie meinst du das?

Petra Wieschalla: Das ist durchaus provokativ gemeint. Ich möchte den Automatismus hinterfragen, dass wenn Eltern Unterstützung brauchen, automatisch die Kinder und zu 80 Prozent die Töchter sagen: «Das muss ich machen.» 

Ich möchte mit diesem Satz aufrütteln und ermutigen, sich zu fragen: «Warum möchte ich pflegen?» Ich sage ja nicht: «Du sollst dich nicht um deine Eltern kümmern.» Aber es ist wichtig, sich bewusst dafür zu entscheiden und sich über die Gründe klar zu sein. Und: Umso freiwilliger das Ganze ist, umso mehr Energie hat es.

Und die Erwartung der anderen? Ich kenne die Erwartung von anderen, die sagen: «Du musst dich mal ein bisschen mehr kümmern, du bist doch die Tochter.» Als mir das gesagt wurde, war ich tief getroffen und habe geweint. Das ist die denkbar schlechteste Reaktion, oder?

Nein, Emotionen zu zeigen, ist immer gut. Zunächst einmal sind die Erwartungen von anderen nichts anderes als die Erwartungen von anderen. Wie wir darauf reagieren, das ist unsere Sache. Du kannst sagen: «Das ist deine Meinung.» oder dich rechtfertigen. Wenn es einen trifft, dann sollte man genauer hinschauen. Hat man tief im Inneren vielleicht dieselbe Erwartung? Hat man sich noch nicht die Erlaubnis gegeben, sich gut um sich zu kümmern?

Sind unsere Ansprüche als Elternkümmerer überhöht? 

Wenn man vorhat, die Erwartungen der Eltern und der anderen und die eigenen zu erfüllen, dann ist das die perfekte Bedingung, um in den Burnout zu schlittern. Klar, möchte man helfen und möglichst perfekt. Sich einzugestehen, dass man das, was man von sich selber erwartet, nicht schafft, ist ein schwieriger Prozess, da muss man sich auch mal ehrlich gegenüber sein.

Als mein Vater damals die Krebs-Diagnose bekommen hat, da war das für mich das allererste Mal in meinem Leben, dass ich gemerkt habe, egal, wie sehr ich mich anstrenge und wie viel ich mache, ich werde ihn nicht retten können.

Eigentlich furchtbar, das einzusehen.

Ja, aber gleichzeitig, war es auch eine Befreiung. Ich habe gemerkt, dass ich ihn zwar nicht retten kann, aber er jetzt noch da ist. Und jetzt kann ich für ihn da sein und unsere gemeinsame Zeit so wertvoll und liebevoll wie möglich gestalten.

Ich habe mich nach der Diagnose viel angestrengt und auch jetzt will ich ganz viel für meine Mama da sein – aber bin dann oft traurig und irgendwie enttäuscht von mir.

Ich erlebe ganz oft, dass viele steckenbleiben in dem Gedanken «Wenn ich ganz viel mache, wird es besser».

Bis zu krassem wie «Ich darf nicht in den Urlaub fahren, sonst passiert etwas». Es ist gut, wenn man sich seine Erwartungen anschaut und überprüft, wie realistisch die sind.

Ist das der kindliche Wunsch nach Eltern, die immer da sein sollen?

Man hat oft dieses Bild, das erlebe ich oft in meinen Beratungen, dass die Eltern einfach immer da sind. Ich war Ende 40, da hat mir meine Mutter immer noch in den Mantel geholfen. Mein Vater war auch mein Held. Ja, der Wunsch nach den Eltern ist immer da.

Was mir an deinem Buch aufgefallen ist, sind die Checklisten für den Unterstützungsbedarf, zum Beispiel für den Bereich Haus/Wohnen, Küche oder Gesundheit.

Diese Listen sind für mehreres gut. Zum einen helfen sie, genauer hinzuschauen. Die Eltern haben ein eigenes Leben und einem ist in der Regel nicht bewusst, was sie alles bewältigen. Man nimmt viele Dinge einfach hin oder übersieht sie, etwa die abenteuerlichen Elektro-Installationen, die mit Tesafilm zusammenhängen oder der Spülkasten, der immer läuft. 

Mit der Liste wird klarer, in welchem Bereich die Eltern Unterstützung bräuchten und welche Aufgaben man abnehmen oder delegieren könnte.

Es wäre unklug, Entlastung anzubieten und dann beim Kochen anzusetzen, wenn die Mutter die grösste Köchin ist. Aber es gibt bestimmt Aufgaben, die sie nicht mag, vielleicht Getränke schleppen oder die Hecke schneiden, dann kann man das abnehmen. 

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Wir Kinder diskutieren viel mit Papa, wenn wir einen Vorschlag haben, um meine Eltern zu unterstützen, aber mein Papa das nicht (sofort) will. Es hat lange gebraucht, um ihn zu überreden, es mit der Tagespflege für Mama auszuprobieren. Hast du einen Rat, wie das besser geht?

Kleine Dinge sind meist kein Problem. Ich habe meiner Mutter mal ein Nachtlicht mitgebracht und ihr gesagt: Ich brauche das nicht, das habe ich übrig. Sie war sofort begeistert und hat das gerne angenommen. Aber bei grösseren Veränderungen ist das immer eine Gratwanderung. 

Die Eltern sind ja ihr Leben lang ohne den Rat der Kinder ausgekommen, warum sollten sie sich jetzt danach richten?

Das muss man als Kind akzeptieren. Die Eltern haben einen freien Willen. Da muss man behutsam vorgehen und sich nicht entmutigen lassen.

Wir würden gerne mehr Unterstützung ins Haus holen, um meinen Papa zu entlasten, aber er besteht darauf, alles alleine zu machen.

Das hängt stark mit dem Selbstbild des pflegenden Partners zusammen. Es ist seine Aufgabe und sie ist wichtig für ihn. Sich einzugestehen, dass man es vielleicht nicht mehr schafft, hat etwas von Versagen.

Ist es besonders schwer, das den Kindern gegenüber einzugestehen?

Das ist immer schwer, aber den Kindern gegenüber besonders. Meine Schwiegermutter hat sich um ihren demenzkranken Mann gekümmert und war fix und fertig, jede Nacht auf und erst als sie einen Schwächefall hatte, hat sie eingesehen, dass sie es nicht mehr schafft.

Aber hätte vorher jemand gesagt, er komme jetzt ins Pflegeheim, das hätte ihr das Herz gebrochen. Als Kind muss man aushalten lernen und immer wieder sagen: «Du, Papa, ich bin für dich da.» Oder mal das Gespräch suchen und sagen: «Wie schaffst du das überhaupt?» oder «Wo nimmst du deine Geduld her?» Dem anderen Verständnis zeigen. Wichtig ist, dass man selber nicht frustriert wird.

Das ist frustrierend. Man möchte helfen, aber kann nichts tun.

Wie definierst du helfen? Helfen ist nicht: Ich mache, was ich denke, was gut für dich ist. Wenn die Eltern früher gesagt haben: Kind, ich weiss, was das beste für dich ist, haben wir es gemacht? Warum sollten die Eltern es jetzt also tun? 

Hilfe ist, für den anderen da zu sein.

Diese Präsenz und dieses Geschenk der Nähe, dieses regelmässige Nachfragen und Zeit miteinander zu verbringen, das ist eine grosse Hilfe, ohne dass wir ein konkretes Ergebnis haben, das wir abhaken können. Dass dein Vater weiss, wenn es hart auf hart kommt, dann bist du und dein Bruder für ihn da, das ist eine wichtige Hilfe.

In manchen Familien ist es schwierig, weil vielleicht auch Undankbarkeit oder Aggression herrschen. Wie kann man dann ein Miteinander finden?

Schwieriges Thema. Je mehr Dankbarkeit man erwartet, umso mehr wird man enttäuscht. Oft besteht auch ein Ungleichgewicht unter den Geschwistern. Da wird beispielsweise die Tochter, die dreimal in der Woche kommt, kocht und einkauft, als normal hingenommen, aber wenn der Sohn alle sechs Wochen zu Besuch kommt, sorgt das für Jubel. Dieses Ungleichgewicht auszuhalten, das ist unter den Geschwistern extrem schwierig. 

Was hilft dann den Elternkümmerern?

Da hilft es nichts, die Mutter überzeugen zu wollen, was man alles macht. Wenn in 60 Jahren kein Wort gefallen ist wie «Das hast du toll gemacht» oder «Ich bin stolz auf dich», dann ist die Wahrscheinlichkeit nicht sehr gross, dass das jetzt kommt.

Wichtig ist, sich mit seinem Bruder oder der Schwester auszutauschen. 

Schön wäre es natürlich, wenn die Geschwister sich untereinander Anerkennung geben und überlegen, wie sie sich unterstützen können. Sie können eine Familienkonferenz abhalten und überlegen, wer welche Aufgaben übernehmen kann. Vieles kann man auch aus der Ferne erledigen.

«demenzjournal.com hilft Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen mit Wissen und Verständnis. Das schafft positive Lebensimpulse.»

Kurt Aeschbacher, Moderator und Verleger

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Speziell mit der Demenz können ja auch aggressive Phasen der Grund sein für Stress.

Für einen selber ist es wichtig zu wissen, dass solche Phasen mit der Krankheit einhergehen können. Wenn eine Bosheit kommt, kann man das mit der Krankheit erklären. Das hilft etwas. Aber die Verletzung ist trotzdem da. Wenn jemand sehr aggressiv ist, dann ist es vielleicht die Lösung, nicht mehr so viel zu machen. Wenn man ständig bösartig beschimpft wird, dann würde ich für mich überlegen, ob ich das noch leisten kann.

Da sind wir bei der Selbstfürsorge. Das ja auch ein Anliegen von dir.

Absolut. Und in dem Zusammenhang ist es mir auch wichtig zu sagen: Man darf sich umentscheiden. Wenn man die Mutter zu sich genommen hat und dann merkt, dass es nicht funktioniert, dann darf man das ändern.

Selbstfürsorge ist mehr als ein Wellness-Wochenende.

Selbstfürsorge braucht Klarheit: Was möchte ich? Was brauche ich? Was tut mir gut? Und sie braucht Mut, das auch umzusetzen. 

Ja, das braucht Mut.

Zu sagen, ich kümmere mich nicht mehr so viel, ist sicher nicht leicht. Aber wie viel und wie wir uns um unsere Eltern kümmern, sollte jeder selbst entscheiden. Wenn ich rund um die Uhr beschimpft werde, dann kann ich das abgeben. Es hilft manchmal auch, sich so eine Frist zu setzen. Wenn es nach einem Monat immer noch besser ist, dann handle ich.

Nicht jeden Tag aufs Neue ärgern, sich einen Monat Bedenkzeit nehmen und dann entscheiden. Man rutscht da oft so hinein und sieht dann nicht, welche Möglichkeiten es noch gäbe. Je besser man weiss, was einem guttut, umso kraftvoller kann man für sich sorgen und gleichzeitig für die Eltern da sein. Wir entscheiden, wie wir uns um unsere Eltern kümmern wollen, auf unsere ganz persönliche Art, selbstbestimmt als erwachsene Tochter oder erwachsener Sohn.