«Sprache ist geistige Medizin» - demenzjournal.com

Kommunikation

«Sprache ist geistige Medizin»

Gute Kommunikation hat nicht mit Zeit, sondern mit Bewusstheit zu tun. Die Qualität, nicht die Quantität der Begegnung zählt, sagt Sandra Mantz im Interview. Daniela Möller

Sandra Mantz ist Altenpflegerin und Kommunikations-Coach. Sie trainiert Pflegekräfte, mit Patienten und Angehörigen einen sensiblen Dialog auf Augenhöhe zu führen.

alzheimer.ch: Zum Einstieg eine Frage zur Rassismus-Debatte: Ist es richtig, wenn jetzt Umbenennungen diskutiert bzw. umgesetzt werden, also eine U-Bahnstation in Berlin nicht mehr Onkel Toms Hütte heissen soll oder ein amerikanischer Footballclub nicht mehr Washington Redskins?

Sandra Mantz: Ich finde diese Reflexionen wichtig. Man weiss nie, was Sprache unbewusst anrichtet, ihre Macht liegt im Subtilen. Je sensibler ein Thema ist, desto aufmerksamer muss man sein. Wenn belastende Bilder in Menschen aktiviert werden, sollte man nach einer Alternative suchen, bevor man noch mehr Öl ins Feuer giesst.

Ich würde nie einen «Negerkuss» essen, sondern immer einen «Schokokuss» Ich habe eine Verantwortung dafür, was ich mit meiner Wortwahl in meinem Umfeld auslöse.

In der von Ihnen gegründeten Sprachgut-Akademie unterrichten Sie Kommunikations-Kompetenz, auch für Menschen in Pflegeberufen. Wie sind Sie als junge Altenpflegerin für Sprache sensibilisiert worden?

Durch Erfahrung. Ich hatte in meinem Beruf immer wieder mit sterbenden Menschen und deren Familien zu tun, musste Todesnachrichten überbringen. Dabei spielt die achtsame Wortwahl eine erhebliche Rolle.

Ich habe bei Mitarbeitern, aber auch Führungskräften mitbekommen, dass in solchen Gesprächen viel entgleisen kann, wenn es an Empathie mangelt. Jedes Mal, wenn ich selbst in einen Fettnapf getreten bin, habe ich etwas gelernt.

Sandra Mantz

Sandra Mantz, geboren 1968, ist gelernte Altenpflegerin. 15 Jahre leitete sie in einem bayerischen Altenheim einen Wohnbereich. 2014 gründete Mantz die Sprachgut-Akademie, wo sie Kommunikations-Trainings anbietet. Die gebürtige Odenwälderin hat mehrere Bücher verfasst, darunter Kommunizieren in der Pflege. Kompetenz und Sensibilität im Gespräch (Kohlhammer Verlag) und Pflegegespräche richtig führen. So mache ich mich verständlich (Duden Verlag).

Können Sie ein Beispiel geben?

Die Tochter einer Demenzpatientin fragt mich, warum ich dieses oder jenes bei ihrer Mama noch nicht gemacht habe. In solchen Situationen habe ich in meiner Anfangszeit oft mit Negationen geantwortet, also etwa «Das wusste ich nicht» oder «Ich war nicht da».

Angehörige wollen aber immer einen Lösungsansatz hören. Ich hätte besser sagen können: «Danke, dass Sie mich darauf aufmerksam machen.» Das ist anerkennend, wertschätzend. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich mit solchen Sätzen die Emotionen beruhigen und ein inhaltlicher Austausch möglich ist.

Wie kann man Pflegekräfte an einen sensiblen Umgang mit der Sprache heranführen?

Heime sollten ihren Pflegekräften spezielle Trainings anbieten, in denen typische Stresssituationen und stereotype Sprachmuster analysiert und Alternativen gefunden werden. Auch online lässt sich da eine Menge machen.

Oft fehlt in der Sprache der Pflegekräfte das persönliche Element: Sie sprechen von Abläufen, Rundgängen, Toilettengängen. Oder jemand stellt die Frage: Wer macht heute Gang A?

Was schlagen Sie vor?

Besser ist zu sagen: Wer versorgt heute die Bewohner von Gang A? oder Wer begleitet heute die Patienten zur Toilette? Das klingt menschlicher und wertschätzender.

Ein Klassiker ist auch die Passivsprache, etwa in den Pflegeplänen: Essen wurde viermal täglich serviert. Oder: Frau Schmidt wurde zweimal täglich mobilisiert. Persönlicher und menschlicher ist es, alle beteiligten Personen aktiv zu erwähnen, also: Pflegerin mobilisiert Frau Schmidt zweimal täglich in den Rollstuhl.

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Wie gelingt achtsame Kommunikation, auch wenn wenig Zeit ist?

Gute Kommunikation hat nicht mit Zeit, sondern mit Bewusstheit zu tun. Die Qualität, nicht die Quantität der Begegnung zählt. Je weniger Zeit ich zur Verfügung habe, um so wesentlicher ist der eine kostbare Moment. Ein Satz wie Ich mache jetzt schnell Ihr Bett vermittelt Hektik.

Schöner wäre folgende Ansprache: Frau Weber, ich mache jetzt Ihr Bett zurecht, dann können Sie sich heute Abend wieder einkuscheln. Oder ich wünsche einem alten Herrn einen gesegneten Appetit, weil ich weiss, dass die Religion in seinem Leben wichtig war.

Das setzt voraus, dass ich Biografiearbeit mit ihm gemacht habe.

Richtig. Worte sind sehr individuell gespeichert. Wenn jemand mit seinem Vornamen eine negative Speicherung hat, weil die Mutter ihn damit ausgeschimpft hatte, kann das eine wichtige Information für die Pflegekraft sein.

Umgekehrt gibt es Wörter mit einer positiven Speicherung, etwa ein Begriff wie «Heimat», der Vorname eines Enkels, oder es können Blumennamen sein, wenn jemand einen Garten hatte.

Menschen mit Demenz nehmen absolut wörtlich, was andere sagen, sie können nicht mehr so gut übersetzen, was die Pflegerin oder der Sohn womöglich meinen. Welche Sätze sind besonders heikel?

Wörter und Redewendungen, die mit Krieg zu tun haben, können bedenklich sein, sofern die Betroffenen diese Zeit erlebt haben. Das sind Wörter und Wendungen wie Bombenwetter, Der Schuss geht nach hinten los oder jemanden umlegen, wenn man ihn nur anders hinlegen möchte.

Pflegekräfte sollten sensibel darauf achten, dass Wörter nicht an Gewalt erinnern, sondern eine beruhigende, vertrauensvolle Wirkung haben. Ich denke an Wörter wie sanft, einfach oder zärtlich. Dann sage ich zum Beispiel: Ich lege Sie jetzt ganz sanft in Ihr Bett zurück. Sprache ist immer auch geistige Medizin.

Ein junger deutscher Pfleger erzählte einmal, es sei für ihn bisweilen schockierend, mit der Sprache älterer Männer im Heim umzugehen, die noch im Krieg gewesen waren. In einer Demenz kommt manchmal sogar der alte Nazi hoch, auch gegenüber ausländischen Pflegenden. Da können Sätze fallen wie «Hitler hat mit euch Polen kurzen Prozess gemacht». Wie sollen Pflegekräfte reagieren?

Wenn der Patient dement ist, muss die Pflegekraft damit professionell umgehen, das heisst: Sie muss sich klar machen, dass sie nicht persönlich gemeint ist, sondern der Patient gerade in einem alten Lebensmuster verhaftet ist. Und sie sollte gelassen bleiben. Demenz ist eine Erkrankung, die nicht wie ein gesundes menschliches Verhalten zu bewerten ist.

Junge Pfleger reden oft anders als die betagten Bewohner im Heim. Gibt es in der Pflege einen Generationenkonflikt, was die Sprache angeht?

Junge Pflegekräfte sollten sich für den Sprachgebrauch der Patienten interessieren, auch mal nachfragen, wenn sie ein Wort nicht kennen. Natürlich dürfen sie auch ihre eigene Sprache benutzen, zum Beispiel Wörter wie chillen. So kann ein lebendiges Verhältnis entstehen, das von beiden als bereichernd empfunden wird.

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Manchen Mitarbeitenden gelingt es nicht, eine wertschätzende Haltung und Sprache zu lernen. Diese Erfahrung hat man auch im Schweizer Demenzheim Sonnweid gemacht. Gibt es Menschen, die für eine empathische Sprache nicht geeignet sind?

Es gibt sicherlich Menschen, die eine grössere Affinität für Empathie haben als andere. Eine einfühlsame Haltung und Kommunikation ist erlernbar, setzt aber eine grundsätzlich menschenfreundliche Haltung voraus. Man muss schon einen Sinn darin sehen, andernfalls würde ich die Berufswahl nochmals in Frage stellen wollen.

Sie selbst hatten einen engen Kontakt zu Ihrer Oma, bei der Sie oft auf dem Schoss sassen, Ihre Mutter hatte wenig Zeit für Sie. Was haben Sie von Ihrer Großmutter gelernt?

Ich habe sie über alles geliebt, sie ist fast 93 Jahre alt geworden. Sie hat mir vermittelt, dass das Leben ein Geschenk ist und man etwas daraus machen kann. Im hohen Alter war auch sie verwirrt, hat Dinge vergessen oder verlegt. Keiner sagte damals, sie sei dement.

Meine Mutter meinte dann immer: Die Oma ist halt verkalkt. Für mich war es völlig normal, dass man Dinge vergisst, wenn man alt wird, das war nicht krank. Durch den Austausch mit meiner Oma habe ich die bedingungsfreie Liebe zu alten Menschen gelernt.

Stellen Sie sich vor, Sie seien 30 Jahre älter und pflegebedürftig. Welchen Satz würden Sie von Ihren Betreuern nie hören wollen?

Hintern hoch, Oma! Sätze dieser Art sind im Pflegealltag durchaus zu hören.

Welcher Satz würde Sie freuen?

Sie machen das grossartig, Frau Mantz! Dieser Satz würde mich motivieren. Ich möchte gern alt werden, sogar über 100.

Haben Sie keine Angst, dement zu werden?

Überhaupt nicht. Ich habe so viele fröhliche Menschen erlebt, die an Demenz erkrankt sind. Sie haben die Freiheiten, die sie hatten, durchaus genossen, haben viel gelacht, es war ihnen nicht mehr wichtig, was sie anhatten und wie sie auf andere wirkten.

Ein grosses Geschenk wäre für mich, wenn mir die Menschen um mich herum mit Humor und Wertschätzung begegnen würden.

Quelle Youtube