Es braucht realitätsnahe Lösungen - demenzjournal.com

Corona-Krise

Es braucht realitätsnahe Lösungen

«Das Besuchsverbot, die folgende Umwandlung in die Besuchsregelung, das Verbot, unsere Bewohnenden in Spitalpflege zu geben, und die Information der Angehörigen: Sie können sich vorstellen, wie sehr uns dies emotional und zeitlich beansprucht hat.» Bild Véronique Hoegger

Die Coronakrise stellt die Institutionen vor grosse Herausforderungen. Wir haben viel daraus gelernt – und hoffen, dass es die Politik auch tut. Ob die anfangs erfahrene Wertschätzung für die Pflege anhält, ist zu bezweifeln.

Von Petra Knechtli, Leiterin von Sonnweid das Heim

Manchmal frage ich mich, ob das alles wirklich Realität ist. Bis vor einem Jahr hätte ich es persönlich nicht für möglich gehalten, dass wir hier in Mitteleuropa im öffentlichen Verkehr, beim Einkaufen und in einer Institution wie der Sonnweid Schutzmasken tragen werden.

Das Virus Covid-19 beschäftigt uns alle nun schon seit Monaten und wird uns auch weiter begleiten. Wir werden einen Umgang damit finden müssen. Vieles hat sich in der letzten Zeit verändert. Immer wieder waren wir in den Institutionen gefordert, unsere Schutzkonzepte anzupassen.

Wir waren mehr als sonst Bindeglied zwischen Angehörigen und Bewohnenden. Zeitressourcen hat die Besorgung von Schutzmaterialien abverlangt. Anfangs waren Ängste der Mitarbeitenden um ihre Gesundheit und die ihrer Familie spürbar. Die Gesundheit der Bewohnenden stand trotz der eigenen Ängste im Mittelpunkt und war in der Sonnweid immer sehr spürbar.

Die Einhaltung der kantonalen Verfügungen zeitnah umzusetzen, stellte uns vor grosse Herausforderungen.

Um die Bewohnenden der Alters- und Pflegeheime zu schützen, hat die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich (GD) am 12. März 2020 ein Besuchsverbot angeordnet. Das Besuchsverbot galt ab dem nächsten Tag, vorerst bis 30. April.

Mitte April verkündete Natalie Rickli, Vorsteherin der GD an einer Medienkonferenz, das Besuchsverbot werde voraussichtlich bis zum 8. Mai verlängert.

Am 30. April wurden wir informiert, das ausgesprochene Besuchsverbot gehe in eine Besuchsregelung über, wenn die nötigen Schutzmassnahmen eingehalten werden könnten.

Offener Brief an die Zürcher Gesundheitsdirektion

Eine ethische Perspektive

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Die GD teilte uns telefonisch mit, für die Sonnweid gelte weiterhin ein Besuchsverbot, wenn wir die geforderten Massnahmen (Trennscheibe, Masken, sehr eingeschränkte Besuchszeiten) nicht einhalten könnten.

In einer schriftlichen Stellungnahme teilten wir der GD mit, dass die geforderten Massnahmen für uns nicht praktikabel seien. Zuvor war es in der Besucherbox (mit Trennscheibe) zu traumatischen Erlebnissen gekommen – für Angehörige und Bewohnende. Menschen mit Demenz verstehen eben nicht, was Covid-19 ist und wozu es eine Trennscheibe braucht.

Auf unser Schreiben an die Gesundheitsdirektion haben wir leider bis heute keine Antwort erhalten.

In einer der ersten Verfügungen wurden wir im März aufgefordert, Covid-19 erkrankte Bewohnende nicht in Spitalpflege zu geben. Die drohende Überlastung der Spitäler stand damals im Fokus. Wir mussten die Angehörigen darüber informieren und ihr Einverständnis einholen.

Wir fragten uns, ob solche Regelungen ethisch vertretbar sind: Menschen wird aufgrund einer Diagnose oder aufgrund des Alters der Zugang zu medizinischer Versorgung verweigert.

Das Besuchsverbot, die folgende Umwandlung in die Besuchsregelung, das Verbot, unsere Bewohnenden in Spitalpflege zu geben, und die Information der Angehörigen: Sie können sich vorstellen, wie sehr uns dies emotional und zeitlich beansprucht hat.

Täglich haben wir alle Mitarbeitenden über den neuesten Stand informiert.

Wir schulten sie auf Hygienemassnahmen und das Vorgehen bei einem Verdachtsfall. Dazu sorgten wir für die Betreuung und Pflege unserer Bewohnenden, die viel davon mitbekamen und vor allem anfangs stark verunsichert waren.

Der Alltag in der Institution musste weiterlaufen! Vieles – zum Beispiel in der Aktivierung – fand nicht mehr statt. Bald kehrte auf den Abteilungen Ruhe ein. Es kam die Zeit, in der wir Gewohntes überdenken konnten. Wir machten uns Gedanken, wie es weitergehen soll, Gedanken zum Leitbild, zur gelebten Philosophie und zu den verschiedenen Angeboten.

Anfangs war von aussen eine grosse Solidarität spürbar. Menschen, die ihre eigene Arbeit nicht mehr ausführen konnten, boten uns ihre Hilfe an. Blumenläden brachten Blumen, Grossverteiler Osterhasen, Schutzmasken wurden uns geschenkt und vieles mehr.

Die Solidarität untereinander ging leider je länger je mehr wieder verloren.

Viele Besucher zeigen mittlerweile wenig Verständnis für die geltenden Schutzmassnahmen.

Die Bevölkerung kann nicht verstehen, dass Pflegende ihre Ferien in ihren Herkunftsländern machen möchten. Dabei haben ja viele Pflegende in dieser Zeit grosse Sorge um ihre Lieben, die in ihrer Heimat leben.

Für diese Pflegenden wurde noch im Frühling von den Balkonen geklatscht. In verschiedenen Medien hiess es, diese Pflegenden seien eine Gefahr und würden nun das Virus in unsere Institutionen bringen.

Ambulant vor stationär: In der Anfangszeit haben sich Angehörige, die sonst die Entlastungsangebote der Sonnweid nutzten, zu Hause organisiert. Viele dieser Angehörigen sind in dieser langen Zeit an ihre Grenzen gestossen, jetzt steht eine stationäre Aufnahme an.

Menschen mit Demenz wurden in dieser Zeit nicht an Demenz erkrankten alten Menschen gleichgesetzt. Dies darf in Zukunft nicht mehr geschehen. Es bleibt die Hoffnung, dass man die Bedürfnisse der an Demenz erkrankten Menschen und ihrer Angehörigen endlich als ganz spezielle Bedürfnisse in sehr spezieller Situation wahrnimmt und sich dazu die entsprechenden Gedanken macht.

Die Politik soll Entscheide fällen, die realitätsnah, praktikabel und am Menschen orientiert sind.

Wir haben viel aus dieser Krise gelernt. Wir haben vor allem am Anfang der Coronakrise viel Unterstützung und Wertschätzung erfahren. Ob dies nachhaltig sein wird? Daran habe ich persönlich meine Zweifel.