«Wir holen die Party zu uns!» - demenzjournal.com

Rock 'n' Roll im Pflegeheim

«Wir holen die Party zu uns!»

Auswahl an Schallplatten

«Schlafen kann man genug, wenn man gestorben ist», sagte der Bewohner eines Abends. «Die Nacht ist zum Feiern da!» Bild Pixabay

Die Pflegefachfrau Vera Berisha hat schon vielen Menschen mit Demenz schöne Momente beschert. Besonders gut ist ihr das gelungen, als sie einem jüngeren Bewohner einen schwungvollen Tanzabend bescherte.

Von Vera Berisha

Ich hatte Spätdienst, gegen 21 Uhr sass ich im Stationszimmer und schrieb Pflegeberichte. Es klopfte es an der offenen Stationszimmertür. Ein junger Bewohner, er war etwas mehr als 50 Jahre alt, stand da und sagte: «Liebes, was machst du denn da? Wie siehst du überhaupt aus in dem Schlabberlook? Wo ist dein schönes Kleid?»

«Ich trage bei der Arbeit keine Röcke», sagte ich. «Ich brauche etwas Bequemes, damit ich mich frei bewegen kann.»

«Warum trage ich das Pyjama? Du weisst schon, dass du um diese Uhrzeit nicht ins Büro gehörst und ich nicht ins Bett

«Wo gehören wir denn hin?»

«Liebes, wir sind noch jung, knackig und frisch! Wir gehören in eine Disko und bestimmt nicht ins Bett oder ins Büro».

«Unter der Woche haben die lässigsten Ausgehbuden zu. Die sind erst am Wochenende offen.»

«So ein Mist! Warum meinen alle, dass die Nacht zum Schlafen da ist? Das ist so ein Blödsinn! Die Nacht ist zum Feiern da! Schlafen kann man genug, wenn man gestorben ist.»

«Wären Sie jetzt gerne in der Disko?»

«Ja, Liebes! In einer Bude, wo rassige Musik läuft und es etwas Leckeres zum Trinken und zum Knabbern gibt.»

«Wir können jetzt nicht weggehen. Aber wir können die Party zu uns holen! Lassen wir doch hier rassige Musik laufen – und holen uns etwas Leckeres zum Trinken und zum Knabbern.»

«Ja, los Mäuschen, das machen wir!»

Ich nahm den Bewohner an der Hand, und wir gingen tanzend ins Wohnzimmer. Im Kühlschrank stand alkoholfreies Bier, aus dem Schrank nahm ich zwei Biergläser. Für mich füllte ich das Bierglas mit Wasser, dem Bewohner schenkte ich alkoholfreies Bier ein.

Er wünschte rassigen Rock’n’Roll. Ich fand eine CD von Elvis Presley, und wir tanzten zu zwei Liedern. Danach holte ich Chips. Wir setzten uns hin, und ich beobachtete, wie er zum Takt der Musik die Füsse bewegte.

Mit einer Elvis-Platte lässt sich die Party in die Stube holen.PD

«Ich muss nach Hause gehen, meine Arbeitsschicht ist bald zu Ende», sagte ich kurz vor zehn Uhr.

«Ja, Mäuschen, aber bevor du nach Hause gehst, bringst du mich ins Bett.»

Ich begleitete ihn ins Bett und wünschte ihm eine gute Nacht.

«Mäuschen, danke, dass du mit mir in die Disko gekommen bist. Ich war schon lange nicht mehr feiern. Ich hatte grosse Freude.»

Zufrieden und glücklich ging ich nach Hause – mit dem Gedanken, dass ich einem Menschen eine Freude machen durfte.

Wenn Menschen wie dieser Bewohner relativ jung an einer Demenz erkranken, ist es besonders belastend – nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für die Menschen, die mit ihm zu tun haben. Zu negativen Gefühlen wie Angst, Verwirrung, Hoffnungslosigkeit kommt auch die Frage: «Warum ich?».

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Oft gibt es in solchen Fällen finanzielle Sorgen. Man kann seinem Job und seinen Hobbys nicht mehr nachgehen. Die Rolle in der Familie kann ebenfalls nicht mehr aufrechterhalten werden. Es gibt einen Rollentausch im Familiensystem, und das Sozialleben bricht Stück für Stück zusammen.

Egal, welches Alter der Betroffene hat: Eine individuelle Pflege und Betreuung ist zentral. Jüngere Betroffene bringen oftmals andere Bedürfnisse, Ressourcen und Stärken mit sich, die es in der Pflege und Betreuung zu beachten gilt.

Auch der Einbezug von Familie, sozialen Kontakten, Beruf oder Hobbys sind von grosser Bedeutung, denn diese Menschen wurden aus ihrem Alltag herausgerissen. Es gilt, die Autonomie der Betroffenen möglichst lange zu wahren, damit er sein Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl erhalten kann.


Vera Berisha ist Pflegefachfrau FH und arbeitet im Demenz-Zentrum Sonnweid.