Spielerisch ins schwere Thema - demenzjournal.com

Spiel

Spielerisch ins schwere Thema

Schmerzen, Selbstbestimmung, Gebet, Medizin usw.: Der Betroffene bestimmt, was ihm wichtig ist. Martin Mühlegg

Gespräche über die Gestaltung des Lebensendes fallen oft schwer. Das Spiel «Richtig wichtig» erleichtert den Einstieg und sorgt dafür, dass nichts vergessen geht.

Die Liechtensteinische Alters- und Krankenhilfe (LAK) führt schon seit Jahren «vorausschauende Gespräche» mit Bewohnerinnen und Bewohnern ihrer Pflegeheime. Diese dienen der Klärung offener Zukunftsfragen rund um ihre Wünsche und Anliegen am Lebensende.

Es ist aber nicht einfach, ein solches Gespräch zu eröffnen. «Ich möchte mit Ihnen über Ihr Sterben reden» wäre ein taktloser Einstieg. Und doch sollten Pflegende, Betreuende und Angehörige wissen, welche Wünsche und Vorstellungen der Betroffene hat.

Die Pflegefachfrau und Palliative Care-Expertin Elisabeth Sommerauer – sie ist Stationsleiterin bei der LAK – machte sich im Rahmen einer Projektarbeit Gedanken zu diesem Thema. Sie kam auf die Idee, ein Spiel zu entwickeln, das als «Eisbrecher» dient und den Gesprächen ums Lebensende ein Stück weit die Schwere nimmt.

Elisabeth Sommerauer und Michael Rogner vom LAK.Marcus May

Im Rahmen des St. Galler Demenzkongresses 2019 wurde das so entstandene Spiel «Richtig Wichtig – mein Leben, meine Wünsche, mein Weg» mit dem Viventis-Pflegepreis ausgezeichnet. alzheimer.ch unterhielt sich mit Elisabeth Sommerauer und Michael Rogner, Leiter Pflegeentwicklung bei der LAK.

alzheimer.ch: Ein Spiel zum Sterben – es fällt schwer, sich das auf Anhieb vorzustellen.

Elisabeth Sommerauer: Die Aufgabe ist eine erste Auseinandersetzung mit dem Lebensende. Es gibt 28 Karten, auf denen kurze Aussagen stehen zur letzten Lebensphase. Es geht im Sinne der Palliative Care um die vier Bereiche Körper, Psyche, Soziales und Spiritualität.

In einem zweiten Schritt vertieft man die Themen, die einem sehr wichtig sind. Man überlegt, ob man sie beispielsweise in der Familie, mit dem Hausarzt oder einem Seelsorger besprechen möchte. Man dokumentiert diese Gedanken und Wünsche. So sind sie aufgeschrieben, falls man nicht mehr entscheidungsfähig ist. Man kann diese Gedanken auch auf dem beigelegten Block notieren für spätere Planungen und Überlegungen.

Michael Rogner: Das Spiel fördert den Dialog mit anderen – zum Beispiel mit der Familie oder den Pflegenden. «Richtig wichtig» unterstützt den Einstieg in Gespräche zum Lebensende.

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Sie haben «Richtig wichtig» sicher schon oft gespielt. Wie individuell sind die Wünsche? Gibt es einen gemeinsamen Nenner?

Elisabeth Sommerauer: Es ist sehr individuell – wie immer, wenn es um Menschen geht. Aber es gibt Gemeinsamkeiten: Die meisten Menschen möchten zum Beispiel in ihrer gewohnten Umgebung sterben. Wobei sich die Frage stellt: Was ist die gewohnte Umgebung?

Oft gibt es Überraschungen: Eine Frau lebte sehr lange mit starken Schmerzen. Für mich war klar, dass dieses Thema wichtig ist für sie. Doch sie stufte Schmerzen als nicht wichtig ein, weil sie gelernt hatte, damit umzugehen. Es ist wichtig, unvorbereitet und nicht wertend in diese Gespräche zu gehen. Man soll sich darauf einlassen, was von den Bewohnerinnen und Bewohnern kommt.

Das Spiel kann unter der Adresse www.richtigwichtig.li bestellt werden.Martin Mühlegg

Verändern sich die Wünsche mit der Zeit?

Elisabeth Sommerauer: Das kann durchaus passieren. Die Notizen sind interessant, weil sie zeigen, was nach einem Jahr oder fünf Jahren wichtiger oder unwichtiger wird.

Kann ich «Richtig wichtig» auch mit Menschen mit Demenz spielen?

Michael Rogner: Für Menschen mit Demenz und ihre Familien kann das Spiel hilfreich sein, weil es einfach und niederschwellig ist. Man braucht dazu keine juristischen Dokumente wie Patientenverfügungen oder Vollmachten. Man kann einfach thematisch starten und schauen, was passiert. Man kann es auch mit sich selbst spielen.

Hat das Spiel etwas verändert im Alltag Ihrer Institution?

Elisabeth Sommerauer: Durchaus. Auch für uns als Fachpersonen war der Einstieg in die vorausschauenden Gespräche schwierig, wenn die Betroffenen Angst hatten oder zurückhaltend waren. Jetzt haben wir einen spielerischen und niederschwelligen Einstieg. Nachher kann ich anhand des entstandenen Dokuments mit den Bewohnern die nächsten Schritte besprechen.

Michael Rogner: Es macht einen grossen Unterschied, ob man mit einem juristischen Dokument oder mit einem Spiel zum Bewohner und seinen Angehörigen kommt. Es entsteht eine ganz andere Gewichtung. Dieser offene Zugang hat viele Kontakte geöffnet – auch zu Menschen mit Demenz.

Wie komme ich zum Spiel?

Michael Rogner: Man kann das Spiel auf unserer Website www.richtigwichtig.li bestellen Wir haben bisher 1000 Spiele produzieren lassen und werden das Spiel weiterentwickeln.

Am St. Galler Demenzkongress 2019 wurde «Richtig wichtig» mit dem Viventis-Pflegepreis ausgezeichnet.PD