Zähneputzen stimuliert das Hirn
Elisabeth N. hat die Diagnose Demenz eben erst bekommen. Noch kann sie sich mit Zetteln, die sie sich als Erinnerungsstützen schreibt, selbst helfen, um alltägliche Dinge nicht zu vergessen. So hängt auch im Badezimmer eine Notiz, die sie daran erinnert, dass sie regelmässig und gründlich ihre Zähne putzen muss.
Ihr betreuender Lebenspartner ist ihr dabei eine grosse Stütze. Er ist es auch, der die langjährige Zahnärztin der beiden über die Diagnose informiert und so lange es noch geht regelmässige Kontrollen und Termine bei der Dentalhygienikerin vereinbart.
«In dieser Phase der Krankheit ist noch jede Art von Behandlung möglich», sagt Walter Weilenmann, der als Zahnarzt mit eigener Praxis in Wetzikon im Zürcher Oberland auch die Patientinnen und Patienten des auf Menschen mit Demenz spezialisierten Heims Sonnweid betreut.
Zu Beginn eines Heimeintritts funktioniere das Zähneputzen noch. «Neben der Aktivierung bestimmter Hirnareale ist dies auch eine soziale Zuwendung durch die Betreuenden, was ebenfalls eine wichtige Stimulation für das Hirn ist», sagt Weilenmann.
Allerdings sei eine exakte Hygiene aufgrund der zunehmend eingeschränkteren Motorik immer weniger möglich, weshalb vor allem in den hinteren Zahnregionen bereits Karies beginne. Hinzu kommt, dass Süssigkeiten gerade bei diesen Menschen eine grosse Rolle spielen.
Ein Versuch, in der Sonnweid den Zucker zu reduzieren, scheiterte, wie Weilenmann berichtet:
«Künstlich gesüsste Patisserie wurde nicht gegessen. Zucker liefert halt Kraft und Energie, und der Genuss trägt zur Lebensqualität bei.»
Johann B. lebt seit längerem in einem Heim. Sein Zustand hat sich aufgrund der Demenz verschlechtert, weshalb er inzwischen auf der Pflegeabteilung ist. Seine Zahnprothese zieht er nicht mehr an. Er spricht nur noch sehr schwer verständlich – es ist deshalb schwierig herauszufinden, ob sie ihn irgendwo drückt und stört oder ob er gar nicht mehr weiss, wozu sie eigentlich dient.
Gegen das Zähneputzen wehrt sich Johann B. immer öfter. Er versteht nicht, was das Pflegepersonal mit dieser kleinen Bürste an seinem Mund will. Auch mit der Mundspülung, die man ihm anbietet, weiss er nichts anzufangen. Einmal hat er sie hinuntergeschluckt, ein andermal ausgespuckt.
In einem solchen Stadium wird flüssige Nahrung wichtig, weil die Patientinnen und Patienten ihre Prothesen nicht mehr benutzen oder gleich ganz mit dem Kauen aufhören. «Es entsteht dann sehr viel Karies, die Löcher sind tief und die Zähne brechen ab», weiss Weilenmann aus Erfahrung.
Oft seien es die Angehörigen, die ihn dann ansprächen, weil sie der optische Anblick schockiere. Doch Dr. Weilenmann macht nur noch das Nötigste.
Früher machte er in solchen Situationen eine Narkose, aber das unterlässt er inzwischen aufgrund des hohen altersbedingten Risikos.
«Wir dachten vor 30 Jahren, Eiter und Geschwüre wären die Folge von solch starker Karies und kaputter Zähne», sagt Weilenmann. Doch dies sei nicht eingetreten. Ein Knochen könne den sich darüber befindenden entzündeten Zahn abstossen.
Weil die Betroffenen nicht mehr kauen, also auch nicht mehr auf die Zähne beissen, verlaufe dieser Prozess ganz ohne Schmerzen. Weilenmann hat inzwischen einen alternativen Weg gefunden, seine Patientinnen und Patienten mit Demenz zu behandeln:
«Wenn wir den Eindruck haben, ein Zahn störe jemanden, gehen wir abends, wenn alles ruhig ist, zur betreffenden Person ans Bett. Sie bekommt ein leichtes Schlafmittel, wir machen eine normale Spritze und ziehen den Zahn minimalinvasiv aus, das heisst mit langsamen, behutsamen Bewegungen, damit sie fast nichts davon merkt.»