«Es mangelt an einfühlsamer Zuwendung» - demenzjournal.com

Demenz im Spital

«Es mangelt an einfühlsamer Zuwendung»

Zeitdruck und Stress verhindern in Spitälern oft eine angemessene Betreuung von Menschen mit Demenz. PD

Menschen mit Demenz brauchen auch in Spitälern empathische Betreuung und einfühlsame Kommunikation. Der Alterspsychiater Robert Perneczky findet, Mediziner und Pflegende sollten mehr geschult werden.

alzheimer.ch: Herr Perneczky, beste medizinische Versorgung und bunte Wände in den Patientenzimmern sind gut und schön. Aber was ist mit Empathie und Zeit, die bei der Spitalpflege von Menschen mit Demenz sehr wichtig sind?

Robert Perneczky: Dies ist natürlich sehr wichtig. Es ist gut belegt, dass man mit individueller Zuwendung Psychopharmaka einsparen kann. Das Problem ist: Ärzte und Pflegende möchten einfühlsam sein, aber ihnen fehlt oft die Zeit dafür.

Seit einigen Jahren lernen Medizinstudierende mehr, wie wichtig eine gute Kommunikation und empathisches Verhalten ist und sie üben das auch.

Aber es gibt noch viel Luft nach oben. Auch bei ausgebildeten Pflegenden und Ärzten sehe ich immer wieder, dass es an einfühlsamer Zuwendung mangelt. Es müssten mehr Schulungen angeboten werden. 

Robert PerneczkyPD

Wie reagieren Sie, wenn der akut erkrankte Mensch mit Demenz sich nicht behandeln lassen will? Wenn er zum Beispiel keine Operation möchte bei einem Schenkelhalsbruch oder keine Antibiotika-Infusion bei einer Lungenentzündung?

Grundsätzlich muss immer die Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen durch einen Psychiater geprüft werden. Ist der Patient einwilligungsfähig, kann der Arzt versuchen, ihm die Vorteile und Nachteile der Massnahmen zu erklären und ihn damit zu «überzeugen».

Letztendlich entscheidet der Betroffene aber selbst. Ich versuche immer, die enge Familie mit einzubeziehen. Wichtig scheint mir, dass der Betroffene versteht, dass das keine Massnahmen «gegen ihn» sind, sondern dass wir ihm helfen wollen, dass er so schnell wie möglich nach Hause kann.

Ist der Patient nicht mehr einwilligungsfähig, entscheidet ein Bevollmächtigter oder ein Betreuer. Man sollte ruhig mutig sein: Hat man etwas nicht verstanden, immer nachfragen! Dann muss es der Arzt halt noch einmal verständlicher erklären, auch wenn er eigentlich keine Zeit hat.

Was machen Sie, wenn sich der Patient auch trotz intensiver Aufklärung nicht behandeln lassen will?

Bei einem geplanten Eingriff wird kein Arzt gegen den Willen des Patienten handeln. Anders sieht es bei Notfällen aus, zum Beispiel bei einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung oder einer Blutvergiftung. Dann können die Ärzte lebensrettenden Notfallmassnahmen – also etwa Antibiotika-Infusionen – auch ohne Einwilligung durchführen, es sei denn, es liegt eine anderslautende Patientenverfügung vor.

Kommentar von Martin Mühlegg

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Was können Pflegende und Ärzte tun, wenn ein Patient unruhig ist und nach einem Eingriff zu früh aus dem Bett will? 

Wir können für ein ruhiges Umfeld sorgen, also ihn zum Beispiel in ein Zimmer mit einem ruhigen Mitpatienten legen statt mit einer Frau oder einem Mann, der ständig redet. Man sollte die Bezugspersonen bitten, die Orientierung des Betroffenen zu verbessern und zum Beispiel sein Hörgerät oder seine Brille mitzubringen.

Sie würden vermutlich auch unruhig werden, wenn sie kurzsichtig sind oder wenig hören und diese Hilfsgeräte zu Hause vergessen haben. Ich sage den Kollegen auf den Akutstationen auch immer wieder, dass man zulassen solle, dass sich der Patient bewegt und zum Beispiel umherläuft auf der Station.

Natürlich sollte dabei sichergestellt werden, dass er sich nicht gefährdet. Falls er zu unruhig ist, muss man manchmal Medikamente geben. Ich und meine Kollegen prüfen dann aber regelmässig, ob man die Dosis reduzieren oder die Präparate absetzen kann.

Werden Menschen mit Demenz nach dem Aufwachen aus der Narkose speziell betreut? 

Leider gibt es bei uns hierfür keine besonderen Massnahmen. Das wäre aber wichtig, denn wir wissen, dass Menschen mit Demenz nach einer Operation häufiger ein Delir bekommen. Es ist noch einiges zu tun, um Menschen mit Demenz einen Spitalaufenthalt so erträglich wie möglich zu machen. 

Quelle Youtube

Wie ein demenzfreundliches Spital aussehen sollte – Tipps von Robert Perneczky

  • Bilder in den Patientenzimmern und im Flur aufhängen, zu denen die Menschen mit Alzheimer einen emotionalen Bezug haben. Durch die Erinnerung fühlen sich die Betroffenen wohler.
  • Farben als Signalgeber: Zum Beispiel Türen für jedes Patientenzimmer in einer anderen Farbe streichen. So findet der Patient sein Zimmer rascher wieder. Am besten helle, freundliche Farben in Kombination mit Signalfarben. Also zum Beispiel hellgelbe Wände und grüne, blaue und lilafarbene Türen. Keine eintönigen weissen Wände, aber auch kein Farbchaos. Durch den Farbmix werden die Betroffenen geistig angeregt. Ein Farbchaos sollte man vermeiden, weil das beunruhigen könnte.
  • Offene Architektur: Gerade, kurze Wege vom Zimmer zu den Gemeinschaftsräumen. Keine Sackgassen, möglichst keine Gänge um die Ecke. So können die Betroffenen ihr Ziel sehen und müssen sich den Weg nicht merken. Grosse Fenster mit Blick nach draussen. Der Blick nach draussen – etwa auf Bäume, einen Park oder eine Strasse – stimuliert das Gehirn. Sitzgelegenheiten an «interessanten» Stellen, also zum Beispiel dort, wo sich auch andere Menschen aufhalten oder durchgehen. Auch das regt geistig an.
  • Essen: Genügend Platz, damit die Patienten gemeinsam essen können. Also zum Beispiel ein grosses gemeinsames Esszimmer. Menschen mit Demenz essen oftmals zu wenig, aber wenn sie andere essen sehen, haben sie Lust, auch mitzuessen. Essenszeiten werden eher eingehalten, wenn alle zur selben Zeit am Esstisch sitzen, am besten einschliesslich des Personals. Auch bei vielen akuten Krankheiten lässt es sich ermöglichen, dass alle gemeinsam essen – zum Beispiel bei einem Schenkelhalsbruch. Es ist zwar aufwändig für die Pflege, die Patienten in den Gemeinschaftsraum zu bringen, aber Menschen mit Demenz profitieren davon enorm.
  • Demenzfreundliches Geschirr und Besteck, das die Patienten leicht greifen können und das durch bunte Farben Lust auf`s Essen macht. Es gibt auch spezielles „Demenz-Geschirr“: Zum Beispiel ist der Tellerrand so nach innen gewölbt, dass das Essen auf Gabel oder Löffel fällt, wenn man es gegen den Rand schiebt. Für die, die nicht mehr so gut essen können: Finger Food.
  • Gefahrenquellen ausschalten: Keine Stufen, keine scharfen Kanten, keine Stolperquellen wie Bettvorleger. Zimmer sollte gut ausgeleuchtet werden können. Nachttischlampe gut erreichbar, falls der Patient nachts einmal aufs WC muss.
  • Ausreichend Licht: Die Räume sollten gut ausgeleuchtet sein und es sollten keine Schatten entstehen, etwa durch Vorhänge oder Gegenstände. Schatten können als bedrohliche Personen oder Fratzen missgedeutet werden und grosse Angst auslösen. Tagsüber helles Licht, nachts dunkel: Das schafft einen klaren Tag-Nacht-Rhythmus, die Demenzkranken werden dadurch tagsüber angeregt und finden abends eher Ruhe. 

Prof. Robert Perneczky ist Alterspsychiater und Leiter des Alzheimer Therapie- und Forschungszentrums an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.