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Pflege-Episoden

… ausser man tut es

Kleines und scheinbar Unbedeutendes hat oft eine grosse Wirkung. Daniel Kellenberger

Gute Betreuung und Pflege ist die Summe vieler kleiner Taten. Nachfolgend fünf alltägliche Episoden aus dem Demenz-Zentrum Sonnweid.

Der Tanz

Herr B. steht schräg an einer Kommode, klammert sich daran fest und blättert in einer Illustrierten. Die Pflegerin will ihm seine Medikamente geben. Er lässt es anstandslos mit sich geschehen, schluckt und blättert weiter.

Wenn er sich hinsetzt, bekommt er etwas zu trinken. Er weigert sich und bleibt stehen. Sie versuchen es zu zweit, doch er lässt sich nicht bewegen. Eine der beiden umfasst seine Hände, beginnt rhythmisch zu zählen: Eins, zwei, eins, zwei, sie wiegt ihren Oberkörper hin und her.

Herr B. nimmt den Rhythmus auf – eins, zwei, eins, zwei. Es entsteht ein Tanz zwischen den beiden.

Langsam setzt er sich in Bewegung, folgt den leichten Schritten seiner Tanzpartnerin. Er darf sich zu den Frauen setzen. Das scheint für den Augenblick zu wirken, Herr B. strahlt übers ganze Gesicht.

wie eine katze

Herr D. sitzt allein auf dem Sofa. Er versucht aufzustehen und gibt nach zwei, drei Versuchen wieder auf. Hilft ihm denn niemand? Herr D. schafft es meistens allein. Die Pflege will es vermeiden, ihm dauernd unter die Arme zu greifen. Hier das richtige Mass zu finden ist schwierig, denn Herr D. ist sehr sturzgefährdet. Er fällt immer wieder hin, wenn man ihn einfach machen lässt.

Zum Glück ist er wie eine Katze, wenn er stürzt, er tut sich ganz selten weh dabei. Man muss ihn vor sich selbst schützen, die Balance finden zwischen aktiver Unterstützung und Beobachtung und erst dann eingreifen, wenn es nicht mehr anders geht. Einen eigenen Rollator hat er nicht, sonst würde er sich der Beobachtung ent­ziehen und noch öfter hinfallen. Deshalb ist es besser, ihn in der Nähe zu behalten.

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Turnen

Eine gut gelaunte Betreuerin tritt in den Aufenthaltsraum. Sie spricht drei Bewohner und eine Bewohnerin mit Namen an und sagt: «Wir gehen jetzt turnen!» Die Eingeladenen erheben sich von ihren Stühlen und folgen der Betreuerin zum Lift.

Die drei Herren reissen Sprüche, die Dame lacht. Das lustige Grüppchen kommt im oberen Stock an und begibt sich in die grosse Wohnküche, wo das Turnen stattfinden soll. Dort stellt sich heraus, dass die Vorturnerin ausgefallen ist.

«Ich lade Sie alle herzlich zu einem Tee ein», sagt die Betreuerin, die gerade in der Küche beschäftigt ist.

Die Gäste sind amüsiert und treten an die Theke, wo sie Tee bekommen. Nach zehn Minuten sind die Gläser leer, und die Betreuerin führt das gut gelaunte Grüppchen zurück. Zwei Herren gehen von dort aus spazieren, ein Herr und die Dame setzen sich wieder in den Aufenthaltsraum.

Kekse

Frau H., dünn und zerbrechlich, soll doch bitte einen Keks essen. Die sind so fein, mit ganz viel Schokolade. Sie kneift die Lippen zusammen und weigert sich. Die Lieblingskekse meiner kleinen Tochter, sagt die Pflegerin und streicht ihr den Keks über die Lippen.

Ihre Augen lachen, zaghaft öffnet Frau H. die verkrampften Lippen.

Kauend streckt sie die Arme nach den verwelkenden Tulpen in der Vase aus und versucht ganz vorsichtig, ein Blütenblatt zu lösen. Sie beginnt vor sich hinzumurmeln, ganz leise, kaum ein Wort ist verständlich. Die Pflegerin tritt neben sie und streicht ihr sanft über Schulter und Rücken. Frau H.’s Stimme wird plötzlich eindringlicher, ihre Züge ent­span­nen sich. Nun versteht man viel besser, was sie sagt.

in ruhiger runde

Sieben Bewohnerinnen und Bewohner sitzen am grossen Tisch. Eine Mitarbei­terin steht hinter dem Küchenwagen und bietet den mobilen Bewohnern Tee und Brötchen an. Am Tisch herrscht Ruhe.

Einzig Frau G. stösst unverständliche Laute aus. Ihre Hände zittern, ihre Augen sind weit geöffnet. Ihre Mimik verrät Angespannt­heit und Angst. Vor ihr liegt ein Teller mit einem in mundgrosse Stücke geschnittenen Croissant.

«Nirgends anderswo wird so viel Wert auf differenzierte und anspruchsvolle Berichterstattung gelegt, als auf demenzjournal.com. Das Niveau ist stets hoch, dabei aber nicht abgehoben.»

Raphael Schönborn, Geschäftsführer Promenz, Wien

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Eine Betreuerin setzt sich zu ihr. Sie streichelt Frau G.’s Arm, ergreift ihre Hand und strahlt sie an. «Möchten Sie noch etwas essen?», fragt sie. Frau G. entspannt sich und gibt Laute von sich.

Sorgfältig und langsam gibt die Betreuerin Essen und Tee ein. Die Runde am grossen Tisch erwacht durch die Anwesenheit der herzlichen und strahlenden Betreuerin. Herr M. malt an seinem Mandala weiter, und Frau P. lacht.