Kommunikation IST Pflege - demenzjournal.com

Verstehen und verstanden werden

Kommunikation IST Pflege

Ein Rezept für den Umgang mit Demenzkranken: «Sprich einfacher, verwende kurze Sätze, brauche weniger Worte». Daniel Kellenberger

Klar und einfach statt vieldeutig und floskelhaft: Damit Pflege gelingt, ist der verbale und nonverbale Austausch mit den Patient:innen, aber auch innerhalb der Teams, entscheidend. Dazu gehören unter anderem eine bewusste Wortwahl und Humor.

Sie betreten als Pflegefachperson das Zimmer mit dem Ziel, den Patienten zu waschen. Ob Sie ihn wirklich so waschen können, wie Sie sich das vorgestellt haben, hängt wesentlich von dem ab, was vor dem Waschen passiert. 

An diesem Beispiel illustriert Giovanni Maio, Ethiker, Philosoph, Arzt und Autor, dass die eigentliche pflegerische Leistung nicht die Handlung «Waschen» ist, sondern die Interaktion und der wertschätzende Umgang mit dem Patienten oder der Patientin.

Bereits beim ersten Schritt ins Patientenzimmer muss die Pflegefachperson mit allen Sinnen die Atmosphäre, die Stimmung im Patientenzimmer erfassen und erspüren.

Vor dem ersten Wort nimmt sie Blickkontakt auf, wobei der Blick schon viel über die aktuelle Gemütslage des Patienten aussagt. Dann kommen die ersten Worte; es gilt die Stimmlage, die Artikulation, die Lautstärke wahrzunehmen, die wichtiger sein können als der Inhalt der Worte.

Checklisten-Rationalität

Giovanni Maio, Professor für Medizinethik an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg (D), bedauert, dass heute die Pflege mehr und mehr auf fixe Verrichtungen reduziert wird.

Diese überhand nehmende «Checklisten-Rationalität» führe dazu, dass jede Minute dokumentiert werden müsse: «Wenn Sie nicht genügend dokumentieren, sind Sie unproduktiv.» Dies zeige sich insbesondere in der Spitex mit ihren strikten Zeitvorgaben.

Stattdessen plädiert Giovanni Maio dafür, wieder stärker den Menschen ins Zentrum zu stellen, und da sei die Kommunikation entscheidend.

«Gespräch ist nicht alles. Aber ohne Gespräch ist alles nichts.»

Zur Illustration zitiert Maio aus einer Geschichte des Psychoanalytikers Sigmund Freud: «Ein Kind, das sich in der Dunkelheit ängstigte, rief ins Nebenzimmer ‹Tante, sprich doch zu mir, ich fürchte mich!› ‹Aber was hast du davon, du siehst mich doch gar nicht!› Darauf das Kind: ‹Wenn jemand spricht, wird es heller!›».

Bewusste Wortwahl

«Die Kraft der heilsamen Worte» ist auch das Thema von Sandra Mantz, Pflegefachfrau und Sprachkompetenztrainerin. Sie hat die Denk- und Sprachmuster im Pflegealltag analysiert und festgestellt, dass die Sprache oft vieldeutig, floskelhaft und wenig vertrauenserweckend ist.

Es ist ihr ein Anliegen, mehr Bewusstsein für unser eigenes Defizit im Kommunikationsverhalten zu entwickeln. Der Alltag im Spital und im Pflegeheim sei geprägt von den Begriffen «müssen» und «schnell»: «Ich muss schnell den Blutdruck messen oder schnell das Essen bringen, Sie müssen sich gedulden!» Die Zeit – insbesondere für Gespräche – ist immer knapp.

Warum Sprache wichtig ist

Kommunikation

«Sprache ist geistige Medizin»

Sandra Mantz ist Altenpflegerin und Kommunikations-Coach. Sie trainiert Pflegekräfte, mit Patienten und Angehörigen einen sensiblen Dialog auf Augenhöhe zu führen. weiterlesen

Umso wichtiger sei es, so Sandra Mantz, Inhaberin der Akademie SprachGUT, sich professionell auszudrücken und die richtigen Worte zur richtigen Zeit zu finden.

Bewusst zu sprechen, heisst für Sandra Mantz auch, auf Worte des Krieges und der Gewalt zu verzichten.

Wörter wie «Schiess los!», «Auf die Folter spannen», «Ich habe ein Attentat vor auf Sie» oder «Ich explodiere gleich». Das gleiche gilt für abwertende Redewendungen wie «der hat’s nicht nötig», «die kannst du vergessen» oder «was hat die mir überhaupt zu sagen?»

Stattdessen empfiehlt Sandra Mantz, eine Wortschatzkammer von A bis Z anzulegen. Ein solches Wortschatz-ABC führt von «anmutig» über «friedlich», «geschickt», «Halt geben» und «kompetent sein» bis hin zu «Sicherheit bieten», «wachsam sein» und «Zuversicht». Differenziert sprechen lässt sich üben. Entscheidend ist oft der Einstieg in das Gespräch.

Nicht: «Ich komme gleich.» Sondern: «Ich schaue in der Akte nach und komme dann zu Ihnen.» «Ich bespreche das zu Ende und komme danach auf Sie zu.» «Bitte setzen Sie sich, ich frage direkt bei der Kollegin nach.»

Nicht: «Rufen Sie nachher nochmal an.» Sondern: «Frau Weiss, rufen Sie bitte nach 14 Uhr noch einma lan. Vielen Dank.» «Nach der Dienstübergabe um 13.30 Uhr ist es ruhiger. Bitte rufen Sie dann noch einmal an.» «Herr Schmitz ist ab 10 Uhr im Dienst. Rufen Sie dann einfach noch einmal an.»

Nicht: «Ich werde wahnsinnig.» Sondern: «Das ist mir zu viel!» «Ich verliere den Überblick.» «Ich brauche deine Hilfe.»1

Die Sprache des Körpers

Selbstverständlich sind es nicht nur die gesprochenen Worte, die zur gelingenden Kommunikation beitragen. Spätestens seit den Untersuchungen des Pantomimen und Wissenschaftlers Samy Molcho wissen wir, dass alles, was wir denken und fühlen, vom Körper übersetzt wird.

«Körpersprache ist wie die gesprochene Sprache, aber sie kann nicht lügen», ist eine Quintessenz seiner Bücher zur Sprache unseres Körpers.

Vor allem wenn wir mit unserer Mimik, Gestik, Haltung und Bewegung Botschaften vermitteln, die unseren Worten widersprechen, sind die Körpersignale stärker.

In einer körperlichen Abwehrhaltung, zum Beispiel mit verschränkten Armen, kann ich nicht gleichzeitig jemandem beipflichten. Um Empathie und Sympathie für sein Gegenüber zu entwickeln, ist es wichtig, dessen Signale zu verstehen.

Was das bedeutet und wie Körpersprache wirkt, zeigte Alexander Veit, Pantomime und selbständiger Trainer, an einem Fachsymposium in St. Gallen. Er veranschaulichte, welchen Einfluss Gedanken und innere Einstellungen auf die Körperhaltung haben – und was im Umkehrschluss aus Gesten und Haltung abgelesen werden kann.

Er demonstrierte, wie es wirkt, wenn sich jemand die Last der Verantwortung auf die Schultern legt und entsprechend daherkommt. Oder wie Freude einhergeht mit einer Bewegung nach oben, mit dem öffnen der Brust. Im Gegensatz dazu gehen Probleme in der Bewegung eher nach unten. Wichtig ist für ihn, gerade im Kontakt mit Patienten, auch der Körperraum, das richtige Mass zwischen Abstand und Nähe.

«Diese Art von Journalismus hilft Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen. demenzjournal.com ist eine äusserst wertvolle Plattform, nicht zum Vergessen!»

Irene Bopp, ehemalig Leitende Ärztin Memory Clinic Waid in Zürich

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Mit Gehörlosen sprechen

Noch einmal anspruchsvoller wird es im Umgang mit Menschen mit einer Einschränkung, wie Tatjana Binggeli, Präsidentin des Schweizerischen Gehörlosenbundes, aufzeigte.

Im Rahmen ihrer Doktorarbeit hat die Ärztin herausgefunden, dass 80 Prozent der Menschen mit einer Hörbehinderung mit dem Gesundheitswesen unzufrieden sind. In der Schweiz sind das neben den 10’000 Gehörlosen eine knappe Million Menschen mit einer Hörbehinderung.

Ein erster Schritt zu einem besseren Umgang mit Hörbehinderten beginnt für Tatjana Binggeli mit dem Abbau von Vorurteilen und falschen Vorstellungen. Zum Beispiel müsse der diskriminierende und beleidigende Begriff «taubstumm» aus dem Vokabular gestrichen werden.

Auch sei es in einem Gespräch mit einer Person mit Mundschutz nicht mehr möglich, die Sprache von den Lippen abzulesen. Um Kommunikationsbarrieren abzubauen und Fehldiagnosen zu vermeiden, müsse das Gesundheitspersonal besser geschult werden, lautet daher Binggelis Forderung.

Einfache, aber keine Babysprache

An Rezepten und wissenschaftlichen Erkenntnissen für eine wirksame Kommunikation fehlt es nicht. Aber Vieles ist leichter gesagt als getan. Mit dem Validationskonzept von Naomi Feil, der Transaktionsanalyse nach Eric Berne, der gewaltfreien Kommunikation von Marshall B. Rosenberg oder dem Kommunikationskonzept von Friedemann Schulz von Thun – um nur einige zu nennen – stehen Werkzeuge für eine zielgerichtete Kommunikation zur Verfügung. Manches lässt sich tatsächlich erlernen und trainieren.

Das Problem sei jedoch, dass viele Kommunikationsmodelle sich am Verhalten von gesunden Menschen orientieren, sagte die Gesprächsforscherin und Kommunikationstrainerin Svenja Sachweh vor einigen Jahren im Gespräch mit der «Krankenpflege» (2/2013).

Bei Menschen mit Aphasie oder Demenz funktioniere jedoch das Modell mit den vier Schnäbeln und Öhrchen (Schulz von Thun) plötzlich nicht mehr. Ein Grundproblem sei zudem, dass man speziell bei pflegebedürftigen und alten Menschen häufig und unnötigerweise in die Babysprache verfalle. Oder statt deutlich zu formulieren, spreche man übertrieben laut, zu schnell und zu wuselig und mit zu hoher Stimme.

Ein Logopäde erklärt, wie man mit Kommunikation das Selbst stärkt

Sprachkompetenz

«Ich fühle, also bin ich»

Wenn die Worte fehlen, ziehen Betroffene sich oft zurück. Das muss nicht sein. Ein Logopäde erläutert, wie wichtig die Förderung der Sprachkompetenz ist. … weiterlesen

Jede Pflegefachperson lerne in ihrer Ausbildung, dass sie alle Tätigkeiten erklären und immer sagen muss, was sie gerade macht. Aber zum Beispiel einen kognitiv eingeschränkten Menschen ununterbrochen vollzutexten, könne auch kontraproduktiv sein. Ein Rezept für den Umgang mit Demenzkranken ist laut Svenja Sachweh: «Sprich einfacher, verwende kurze Sätze, brauche weniger Worte».

Hilfreiche Einstiegssätze

Kritische Momente oder Sachverhalte direkt anzusprechen befreit und baut das Vertrauen auf. Der Anfang des Gesprächs ist entscheidend. Reden Sie nicht um den «heissen Brei». Sagen Sie bereits zu Beginn mit einfachen und stimmigen Worten, um was es Ihnen im Kern geht.

Für Kolleg:innen im Team

«Gut, dass ich dich sehe, Kersten. Deine Aussage gestern hat mich irritiert, deshalb will ich es noch einmal mit dir persönlich ansprechen.»

«Marvin, ich habe mich da vergangene Woche in etwas eingemischt, was mich im Grunde wenig betrifft.»

«Rosa, ich will etwas ansprechen, das mir keine Ruhe lässt. Es geht um den Streit von Julia und dir.»

kritische Situationen mit Patienten

Verwenden Sie empathische Sätze:

Der Patient hat sehr lange gewartet – «Herr Sieber, danke für Ihre Geduld. Das hat jetzt doch sehr lange für Sie gedauert.»

Der Patient beschwert sich über Kollegin – «Ja, Frau Weiss, das hat Sie sicherlich geärgert. Wissen Sie, wir alle tun hier was wir können, auch Frau Berger. Kann ich Sie irgendwie beruhigen?»2

Das richtige Mass an Humor

Ein häufig empfohlener Weg, schwierige Situationen in der Pflege zu entschärfen, ist der Humor. Für die Humorexpertin und -trainerin Eva Ullmann sind Humor und Lachen wichtige Ressourcen, sowohl für die  Patienten wie auch für die Pflegefachpersonen.

«Der gezielte Einsatz von Humor kann helfen, schwierige Inhalte anzusprechen, die Vertrauensbildung und Motivation zur Gesundung positiv zu  beeinflussen, Missverständnisse oder Konflikte zu klären und zu entschärfen und nicht zuletzt selbstschädigenden Widerstand aufzuheben», sagt die Leiterin des deutschen Instituts für Humor.

Humor ist selbstverständlich nicht gleich Humor. Aggressiver, sarkastischer, sexistischer oder rassistischer Humor ist ebenso wenig hilfreich wie selbstabwertender Humor, der zum Beispiel benutzt wird, um sich einzuschmeicheln.

Gefragt ist vielmehr selbstaufwertender Humor, der dazu beitragen kann, mit den Schwierigkeiten besser umzugehen.

Oder sozialer Humor, der ein «soziales Schmiermittel» sein kann, mit dem es gelingt, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen.

Eva Ullmann nennt das Beispiel einer Pflegefachperson, die beim Betreten des Patientenzimmers stolpert. Wenn sie sagt: «Tut mir leid, ich bin eben blond.», wertet sie sich selbst ab.

Vielmehr kann sie die Situation entspannen, wenn sie sagt: «Frau Müller, das war nur der Auftritt, warten Sie erst auf meinen Abgang.» Oder wenn eine Patientin ein Glas Wasser fallen lässt, könnte eine Reaktion sein: «Beeindruckend, wie Sie loslassen können, andere müssen dafür ins Yoga.»

Die Grenzen des Humors

Es geht laut Eva Ullmann auch darum, Humor-Angebote der Patienten zu erkennen, Humor als Ventil zu nutzen sowie Abstand als auch Nähe zu Themen und Menschen herstellen zu können. Nicht immer sind jedoch solche Humor-Avancen von Patientenseite aufbauend.

Der Grenzpfad zwischen einer witzigen Bemerkung und einem anzüglichen Spruch ist schmal. In einem Männer-Mehrbettzimmer kann es schnell passieren, dass ein Spruch fällt wie: «Sie sind so streng mit uns, Carmen, eine richtige Domina», den die Mitpatienten mit Lachen quittieren.

Dies ist ein Beispiel aus dem SBK-Leitfaden zum Schutz vor sexuellen Belästigungen3. Wie die Empfehlungen in der Broschüre zeigen, ist auch hier eine klare Haltung gefragt, müssen die Grenzen gesetzt und formuliert werden. Im obigen Beispiel etwa mit «Hat sonst noch jemand Drang zu einem blöden Spruch?»

Aktiv zuhören

Kommunikation ist ein schwieriges Geschäft und generiert nicht selten eine Kette von Missverständnissen. Oft fehlt es einfach an der Übung, sich klar und kompetent auszudrücken.

Doch man darf vor allem auch jene Kompetenz nicht vergessen, die häufig viel schneller zum Ziel führt als viele Worte: das aktive Zuhören können. Der Harvard-Professor William Ury zeigte beispielsweise in seinen Untersuchungen auf, dass Menschen, die ihrem Gegenüber aktiv zuhören, bessere Verhandlungsergebnisse erzielen als jene, die vor allem ihre eigenen Argumente und Ideen vorbringen.

Oder wie es der Dichter Gottfried Keller schon vor rund 150 Jahren formuliert hat:

«Mehr zu hören, als zu reden – solches lehrt uns die Natur: Sie versah uns mit zwei Ohren, doch mit einer Zunge nur».


1,2 Sandra Mantz, Arbeitsbuch Kommunizieren in der Pflege, Mit heilsamen Worten pflegen, Kohlhammer 2016.

3 «Verstehen Sie keinen Spass, Schwester?», Leitfaden zum Schutz vor sexueller Belästigung für Pflegefachpersonen und andere Erwerbstätige im Gesundheitswesen. Die Broschüre steht im Online-Shop des SBK als Download zur Verfügung.

Dieser Beitrag erschien in der Zeitschrift «Krankenpflege» des SBK (Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner), Nr.4/2018. Herzlichen Dank an die Redaktion für die Gelegenheit der Zweitverwertung!