Umgang mit moralischem Stress - demenzjournal.com

Begleitung am Lebensende

Umgang mit moralischem Stress

Patient liegt im Bett.

Die SBK-Ethikkommission geht vom Grundsatz aus, dass Situationen am Lebensende eine fürsorgliche Haltung erfordern. Daniel Kellenberger

Die Vielfalt der individuellen Vorstellungen, was gutes Sterben ausmacht sowie die Konfrontation mit realen Sterbesituationen sind für Pflegende eine Belastung. Die Ethikkommission des SBK gibt konkrete Empfehlungen für die Praxis.

Mehrfach kamen in den letzten Jahren Pflegefachpersonen auf den Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK zu, die erzählten, dass sie während der Pflege von Sterbenden an ihre emotionalen und moralischen Grenzen gekommen seien.

Hintergründe dafür sind, dass Pflegen einerseits bedeutet, einen Menschen zu begleiten und seinen Willen und seine Wahl zu respektieren. Andererseits haben Pflegefachpersonen auch eigene Vorstellungen darüber, wie ein guter Sterbeprozess und der faire und würdige Umgang mit Menschen aussieht, die sie in dieser Lebensphase pflegen.

Wenn ein Patient den Wunsch hat, sein Leben zu verkürzen und dies mit der Angst begründet eine Last für die Angehörigen und die Gesellschaft zu werden, oder damit, dass er nicht in der Lage sei, seine Abhängigkeit in einer Gesellschaft zu ertragen, die sich massgeblich an den Werten von Jugend, Schönheit und Leistung orientiere, führt dies zur Konfrontation mit den Wertvorstellungen vieler Pflegefachpersonen.

Ziel der Ethikkommission war es, einen ethischen Standpunkt zu verfassen, der Pflegenden innerhalb der ganzen Breite der Thematik Leitlinien geben kann, wie sie den Fragen und Belastungen bei der Pflege und Betreuung von Menschen am Lebensende gut begegnen und hilfreich damit umgehen können.

Es wurden Workshops durchgeführt, eine Literaturübersicht (2015) gemacht, sowie Expertinnen aus Praxis, Forschung, Management und Bildung angehört. Dazu kamen die Präsentation von Forschungsresultaten und wissenschaftliche Kolloquien (2016).

Grundsätzlich fürsorglich

Im ersten Teil des «Standpunkts» wird die Komplexität der pflegerischen Begleitung von Menschen am Lebensende beschrieben. Danach werden Handlungsoptionen für die einzelne Pflegefachperson, für Pflegeteams, für Pflegeinstitutionen und – auf der Ebene des Gesundheitssystems – für alle Pflegesituationen vorgeschlagen.

Die SBK-Ethikkommission geht vom Grundsatz aus, dass Situationen am Lebensende eine fürsorgliche Haltung (Caring als Bestandteil der professionellen Pflege) erfordern, «um den bio-psychosoziokulturellen und spirituellen Bedürfnissen von Patientinnen und ihren Angehörigen gerecht zu werden».

Erfreulich ist, dass Palliative Care sich derzeit stark entwickelt und Pflegefachpersonen dabei eine Schlüsselrolle spielen.

Trotzdem wird palliative Betreuung nicht überall, wo sie notwendig ist, angeboten oder das Angebot ist nicht optimal.

Die Folge ist: «In einigen schwierigen Situationen können sich Pflegefachpersonen hilflos fühlen und unter moralischem Stress leiden.» Wie sich dieses Gefühl der Hilflosigkeit äussert, wenn eine Pflegefachperson ihre beruflichen und persönlichen Werte nicht mehr einhalten kann, wird im «Standpunkt» mit Beispielen illustriert.

So reduzieren Sie moralischen Stress

Im «Ethischen Standpunkt» sind unter anderem folgende Empfehlungen an Pflegefachpersonen formuliert:

  • Zusammen mit dem Patienten seine Bedürfnisse, Wünsche und seinen Willen betreffend seiner Lebensqualität und seine Erwartungen an das Pflegepersonal klären.
  • Sich über die bio-psycho-soziokulturellen und spirituellen Bedürfnisse der Patientinnen und ihrer Angehörigen informieren und sie bei Entscheiden in Bezug auf das Lebensende berücksichtigen.
  • Kritische Punkte und Fragen, die moralischen Stress bei den Pflegenden verursachen könnten, offen ansprechen.
  • Sich in Palliativpflege weiterbilden und an Teamsupervisionen teilnehmen.
  • An ethischen Fallbesprechungen und Ritualen teilnehmen – nach dem Tod eines Patienten oder wenn er die Institution verlässt, um einen begleiteten Suizid durchzuführen.
  • Gesetzliche Vorschriften beachten.

Empfehlungen für das Team:

  • Vorschlagen und/oder Bereitstellen von Schulungen und Supervision (institutionalisiert oder auf Anfrage).
  • Mit strukturierten Modellen der ethischen Entscheidungsfindung arbeiten.
  • Bei Todesfällen Abschiedsrituale einführen (z. B. Teilnahme an Beerdigung, Abschiedswünsche formulieren, den Angehörigen nach sechs Wochen ein Gespräch anbieten).

Empfehlungen für die Organisation:

  • Gesundheitliche Vorausplanung (advanced care planning) anbieten und fördern.
  • Offen über die Situation von Patientinnen sprechen, die sich für assistierten Suizid entscheiden, und diesen Entscheid respektieren.
  • Fachberatung anbieten.
  • Bereitstellen von Angeboten für Nachbesprechungen (Debriefing) und zur Unterstützung von anderen Patienten, Angehörigen und Pflegepersonal.

Empfehlungen auf Ebene Gesundheitssystem:

  • Die Finanzierung der bio-psychosoziokulturellen und spirituellen Begleitung des Patientinnen und der Angehörigen garantieren (KVG).
  • Sicherstellen, dass eine ausreichende Anzahl von Angehörigen der Gesundheitsberufe Zugang zu Weiterbildung und Spezialisierung in Palliativpflege hat.
  • Bereitstellung von Palliativpflege, sobald die Diagnose einer unheilbaren Krankheit feststeht.

Der SBK und die Ethikkommission erwarten mit dem ethischen Standpunkt, die Qualität der Pflege am Lebensende zu verbessern und gleichzeitig den moralischen Stress von Pflegenden zu mindern.


Bianca Schaffert-Witvliet, MSN, ist Präsidentin der Ethikkommission des SBK und Pflegeexpertin am Spital Limmattal, Schlieren.

Marianne Wälti-Bolliger, MScN, ist Mitglied der Ethikkommission des SBK

Christelle Progin, dipl. Pflegefachfrau FH, MScN, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Pflegeentwicklung SBK.

Dieser Beitrag erschien in der Zeitschrift «Krankenpflege» des SBK (Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner), Nr.2/2018. Vielen Dank an die Redaktion und die Autorinnen für die Gelegenheit der Zweitverwertung.