alzheimer.ch: Doktor Weber, was verstehen Sie unter Palliative Care?
Andreas Weber: Unter Palliative Care versteht man die Betreuung und Pflege von Menschen mit einer unheilbaren, voranschreitenden Krankheit. Es geht in erster Linie darum, trotz dieser schweren Krankheit noch möglichst gut zu leben und schliesslich würdevoll zu sterben.
Die eigentliche Sterbebegleitung ist nur ein Teil der Palliative Care, denn diese setzt bereits früher ein – mit der Diagnose der Krankheit. Meistens bleibt danach eine Zeitspanne, während der man noch eine relativ hohe Lebensqualität geniesst. Man kann noch Ziele erreichen oder wichtige Dinge erledigen. Bereits in dieser Phase können wir viel Unterstützung leisten.
«Palliative Care»
«Palliare» ist lateinisch und heisst «umhüllen» oder «einen Mantel umlegen». Das englische «care» bedeutet «Betreuung» und macht deutlich, dass sich neben Ärzten und Pflegenden auch andere Berufsgruppen wie Seelsorge oder Sozialdienste umfassend um das Wohl des Betroffenen kümmern.
Seit wann spricht man von Palliative Care in der Medizin?
In den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts griff die Engländerin Cicely Saunders die alte Tradition der Sterbehospize wieder auf und gründete das St.Christopher’s Hospice in London. Dort erhielten unheilbar Kranke nebst medizinischer Betreuung auch emotionale, spirituelle und soziale Unterstützung.
In der Schweiz begann man damit in den Siebzigerjahren. In den vergangenen 20 Jahren wurde die Diskussion intensiver geführt, vor allem im Zusammenhang mit der Nationalen Strategie von Bund und Kantonen, die 2009 ins Leben gerufen wurde.
Was ist das Ziel dieser Kampagne?
Jeder Bewohner der Schweiz mit einer unheilbaren Krankheit soll Zugang zu einer guten palliativen Betreuung erhalten, wo immer er sich aufhält.
«Ärzte müssen dazulernen. Bei der Ausbildung zum Arzt geht es grundsätzlich um den Erhalt und das Retten von Leben. Irgendwann kommt dieses Ideal an seine Grenzen.»
Was bedeutet das für die Ärzteschaft?
Ärzte müssen dazulernen. Bei der Ausbildung zum Arzt geht es grundsätzlich um den Erhalt und das Retten von Leben. Irgendwann kommt dieses Ideal an seine Grenzen, nämlich dort, wo es um die Aufrechterhaltung von Lebensqualität und schliesslich um eine würdige Art zu sterben geht. Für viele Ärzte bedeutet das ein Umdenken, wir stellen hier aber grosse Fortschritte fest.
Wie sind Sie zur Palliative Care gekommen?
Durch meine Arbeit im Gesundheitsmanagement und als Anästhesist, wo ich viel mit Schmerztherapien zu tun hatte. Zudem hatte ich ein persönliches Erlebnis: Als mein Vater vor zwölf Jahren unheilbar an Krebs erkrankte, merkte ich, wieviel noch fehlte, wieviel aber auch mit einfachen Mitteln und relativ wenig Aufwand machbar wäre.
Und: Was eine bessere Vernetzung mit Gemeinde, Hausarzt und Spitex für den Kranken bei sich zu Hause bringen kann. Oft ist alles vorhanden, nur wird es nicht richtig eingesetzt. Bei der Pflege zu Hause sind es meist die Angehörigen, die zuerst an ihre Grenzen stossen.
In diesem Zusammenhang ein Beispiel: Freunde und Nachbarn sollen die Angehörigen nicht einfach besuchen, was oft als Belastung empfunden wird, sondern sie sollen sich organisieren und zum Beispiel Sitzwachen übernehmen.
Die Bereitschaft dazu ist erstaunlich hoch und führt zu einer enormen Entlastung für alle. Und so läuft es auch in anderen Bereichen. Bei starken Schmerzen beispielsweise können wir mit ein, zwei Besuchen unseres Teams vor Ort eine Situation wieder über Wochen stabil halten, die sonst möglicherweise entgleisen und zu einer Notfall-Hospitalisation führen würde.