Mit Pinsel und Kaffee gegen Berührungsängste - demenzjournal.com

Atelier Mobile

Mit Pinsel und Kaffee gegen Berührungsängste

Im Kafi Mümpfeli hat es viel Platz und es ist sehr hell. Bild PD

Seit drei Jahren betreibt Katharina Müller mit ihren Mitarbeiterinnen des Vereins Treffpunkt Kultur und Demenz das Atelier Mobile. Menschen mit Demenz können dort einmal die Woche im öffentlichen Raum malen. Danach wird Kaffee getrunken und geschwatzt.

Frau Y. taucht ihren Pinsel in ein intensives Türkis, das sie sich in ihrer Palette zusammengemischt hat und tüpfelt dieses auf ihr bereits farbenprächtiges Bild. Neben ihr sitzt Frau S. und blättert in einem Stapel Karten, der unterschiedliche Bilder zeigt. Sie möchte etwas von einer Vorlage abzeichnen, kann sich aber nicht entscheiden. Andrea Studer, die Kunsttherapeutin, steht ihr unterstützend zur Seite.

An diesem Mittwochnachmittag sind nur zwei Menschen mit Demenz ins Atelier Mobile im Kafi Mümpfeli in Zürich-Affoltern gekommen. «Durchschnittlich sind es fünf Personen, mal mehr, mal weniger», sagt Initiantin Katharina Müller. Viele müssen vor dem Treffen kurz daran erinnert oder zu Hause abgeholt werden.

Katharina Müller befasste sich schon 2011 anlässlich ihrer Diplomarbeit für den Lehrgang «Demenz und Lebensgestaltung» an der Fachhochschule in Bern mit dem Anliegen, Menschen mit Demenz am sozialen und kulturellen Leben teilhaben zu lassen. Selbst arbeitete sie damals schon einige Zeit mit einem mobilen Malatelier, mit dem sie in Institutionen und zu Privaten nach Hause ging. 

«Ich finde es wichtig, dass kreatives Schaffen auch im öffentlichen Raum stattfindet»

Nur so erreiche man Menschen, die oft noch allein zu Hause leben können, aber langsam in die Isolation rutschten.

Der Wunsch eines Betroffenen

Zum Beispiel Frau B. Sie ist heute auch mit von der Partie, aber sie will nicht malen. Sie will lieber arbeiten. Sie habe schliesslich ihr Leben lang immer gearbeitet, sagt sie, die jeden Mittwochnachmittag mit dem Velo zum Treffpunkt kommt. Orientierungsschwierigkeiten hat sie keine. Auch ihre Rechnungen mache sie noch selbst, erzählt sie: «Ich konnte schon immer sehr gut rechnen.»

Dafür fällt es ihr ab und zu schwer, die richtigen Worte zu finden. Sie wohnt allein und geht gern auf einen Kaffee und eine Zigarette ins Mümpfeli. Eine Arbeit findet sie hier immer. So hilft sie jeweils, die Malutensilien vorzubereiten und wieder abzuwaschen oder sie serviert Getränke.

Der Treffpunkt im Kafi Mümpfeli wurde auf Wunsch eines Betroffenen gestartet, weil dieser etwas in seiner Wohnnähe suchte und ihm der geschlossene Treffpunkt in der Langhagstube in Albisrieden zu eng war.

Die Leiterin des Treffpunkts in Albisrieden, eine frühere Studienkollegin und Mitarbeiterin von Katharina Müller, kam auf sie zu, worauf diese das Kafi Mümpfeli, eine Non-Profit-Organisation, anfragte und eine Zusage für das Projekt bekam. Im Frühjahr 2014 gründete Katharina Müller den Verein Treffpunkt Demenz und Kultur  und das Projekt konnte effektiv aufgebaut werden.

Demenz und Kultur

Katharina Müller gewann 2014 den Preis des Konzept- und Projektwettbewerbes der Walder-Stiftung und investierte das Preisgeld in die Gründung und den Aufbau des Vereins Treffpunkt Demenz und Kultur. Zwei Angebote hat der Verein auf dem Programm. Einerseits das Atelier Mobile, das zweimal die Woche mit Pinseln, Farben und sämtlichen nötigen Malutensilien zu Gast im Café Mümpfeli in Zürich Affoltern sowie im Museum Rietberg ist. Andererseits das Angebot «Uf is Grüene», bei dem in einer kleinen Gruppe gewandert wird. Dieses Angebot wird flexibel nach den Bedürfnissen der Teilnehmenden mit Orientierungsschwierigkeiten gestaltet.

Arbeiten statt malen

Inzwischen steht Frau B. hinter der Theke. Sie richtet kleine Schoggi-Gugelhöpfli – die Mümpfeli, die es jeweils zum Kaffee gibt – auf einem grossen Teller an und scheint zufrieden, eine Arbeit gefunden zu haben. Im vom Kaffeeraum etwas abgetrennten, aber dennoch offenen Raum wird derweil weitergemalt. Frau S. hat nun eine Vorlage gefunden, die ihr gefällt und mischt die nötigen Farben.

Für das Kafi Mümpfeli passt das Malangebot perfekt ins Angebot. «Als Non-Profit-Organisation arbeiten wir mit Menschen mit gesundheitlichen und psychischen Problemen», sagt Betriebsleiterin Lhamo Berginz. Deshalb verlangt das Café auch keine Miete vom Verein. «Wir sind aber froh, wenn etwas konsumiert wird», sagt Berginz.

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Den Gästen gefalle es, dass Menschen mit Demenz einmal die Woche hier malen würden. Sie habe nie etwas Negatives gehört. Im Gegenteil: Es finde auch immer wieder ein Austausch zwischen den Anwesenden statt.

Einer Frau mit psychischer Beeinträchtigung gefiel die gute Stimmung im Malatelier so gut, dass sie mitmachen wollte. Katharina Müller war offen für diese Idee und so malte die Frau drei Jahre lang mit.

Die Stadt Zürich sollte sich beteiligen

Anfangs brauchte es etwas Zeit, bis das Angebot bekannt und genutzt wurde. Die ersten beiden Jahre kamen nur etwa ein oder zwei Betroffene regelmässig, wie Katharina Müller berichtet. Um das Angebot anzukurbeln, betrieb sie unter anderem zusammen mit der reformierten Kirche und Betroffenen einen Marktstand im Quartier und organisierte im Kirchenzentrum eine Bilderausstellung, die ein halbes Jahr lang zu besichtigen war.

«Es geht darum, die Bevölkerung zu sensibilisieren», sagt Müller, deren Vision es wäre, dass es ähnliche Angebote in allen Zürcher Quartieren gäbe.

Denn das Thema sei immer noch ein Tabu. Im Quartier ist sie nun in das Projekt der Stadt Zürich «Gut altern in Affoltern» eingebunden und vertritt dort die Menschen mit Demenz. Das Echo auf ihr Angebot ist gut, sowohl bei den Angehörigen als auch im Kafi Mümpfeli und im ganzen Quartier.

Katharina Müller kämpft jetzt darum, dass sich die Stadt im Museum Rietberg beteiligt, wo derzeit einmal pro Woche ein ähnliches Angebot stattfindet. Sie findet es wichtig, dass sich die Stadt Zürich vermehrt bei sozialer und kultureller Teilhabe beteiligt. Die Projektgruppe setzt sich dafür ein. Momentan bezahlt das Museum die Kunstvermittlerin und die Infrastruktur. Die vier Mitarbeiterinnen, die das Malen begleiten, werden durch Stiftungsgelder und die Betroffenen finanziert.

«Um die nationale Demenzstrategie umzusetzen, braucht es für Betroffene niederschwellige finanzielle Ansätze und die Beteiligung der öffentlichen Hand».

Sonst könnten all diese Projekte nicht langfristig und professionell gehalten werden, ergänzt sie.

Frau Y. und Frau S. sind fertig mit Malen und haben ins Café rüber gewechselt. Es wird geplaudert, Kaffee getrunken und etwas gegessen. Frau Y. erzählt, dass sie schon früher gerne gemalt habe und es auch heute noch zu Hause ab und zu tue. Früher habe sie eher Vorlagen gebraucht, heute male sie am liebsten frei.

Von der Tochter «verknurrt»

«Ich denke immer, das habe ich doch schon mal gemalt, doch dann sieht es trotzdem anders aus.» Katharina Müller findet, sie habe halt einfach ihren eigenen Stil. Frau S. erzählt zwischen zwei Schlucken Tee, dass ihre Tochter sie verknurrt habe, hierherzukommen. «Ich war richtig wütend», sagt sie und lacht. Aber jetzt gefalle es ihr, sie möge die Farben und mische sie gerne.

Früher sei sie Teppichrestauratorin gewesen, da hätten die Farben auch stimmen müssen. Frau B. kommt zum Tisch. Ihr ist langweilig, sie will etwas arbeiten. Da es gerade nichts zu servieren gibt, zeigt ihr Lhamo Berginz, wo sie auf dem Vorplatz vor dem Café mit dem Besen kehren kann. Die Idee gefällt ihr.


Weitere Infos finden Sie unter https://demenz-kultur.ch