Gehirntraining: Was bringt es wirklich? - demenzjournal.com

Interview

Gehirntraining: Was bringt es wirklich?

«Man kann zwar im Spiel immer bessere Resultate erzielen, das ändert aber nichts daran, dass man nach dem Kochen ständig vergisst, den Herd auszuschalten.» Bild PD

Eine Studie zeigt, dass Probanden seltener an einer Demenz erkrankten, nachdem sie ein bestimmtes Computer-Spiel über einen Zeitraum von zehn Jahren gespielt hatten. Wir sprachen mit dem Neurowissenschafter Peter Brugger und wollten wissen, was er davon hält.

Wenn der Neffe wieder einmal am Computer spielt, – daddeln nennt er das –, fragt man sich: Warum geht er nicht lieber an die frische Luft? Was ist so toll am Computerspielen? Aber vielleicht ist das Daddeln ja doch nicht so schlimm, wie gemeinhin angenommen?

Die Neurowissenschaftlerin Jerri Edwards von der Universität Süd Florida hat kürzlich an einem Kongress in Denver gezeigt, dass sich damit das Risiko, an einer Demenz zu erkranken durchaus senken lässt – zumindest mit einem ganz bestimmten Computerspiel. 

Senkt der Neffe mit seinem Daddeln womöglich sein Demenzrisiko? Könnte das sein schlagendes Argument gegen die ewigen Computer-Verbote seiner Eltern sein? 

demenzjournal: Herr Brugger, kann man das Gehirn wie einen Muskel trainieren?

Peter Brugger: Das Gehirn ist zwar kein Muskel, aber trainieren lässt es sich sehr wohl, und man hat danach auch keinen Muskelkater! Was fürs sportliche Trainieren gilt, trifft aber auch für das Training bestimmter Hirnfunktionen zu: Wenn man regelmässig joggt, wird dadurch nicht die Kraft in den Händen besser. Und wenn man seine Reaktionsgeschwindigkeit auf bunte Bildchen trainiert, verbessert sich dadurch auch nicht das Gedächtnis.

In der Studie senkten die Teilnehmer mit Hirnjogging am Computer ihr Risiko für eine Demenz. Das ist doch toll, nicht?

Die von Ihnen angesprochene Studie ist eigentlich bloss eine aus vielen im Rahmen eines seit 20 Jahren verfolgten Projektes. Gut daran finde ich, dass viele über 65-Jährige daran teilnahmen. Sonst wird manchmal von Teilnehmern aus einer Studie auf die gesamte Bevölkerung geschlossen, obwohl in der Studie vielleicht nur junge Erwachsene untersucht wurden. Aber in dieser Studie wurde die Altersgruppe untersucht, die sich im Alltag vielleicht schon einmal gefragt hat, wie sich ihr Demenzrisiko senken lässt.

Die Studie von Frau Edwards hat noch einen weiteren Vorteil: Die Probanden mussten neben dem Reaktionszeittraining auch noch andere Aufgaben lösen, zum Beispiel Aufmerksamkeitstests. So konnten die Forscher untersuchen, ob sich durch das Training der Reaktionszeit auch andere Hirnfunktionen besserten – dem war aber nicht so.

Bezüglich Demenz überzeugt mich das Ergebnis der Studie nicht.

Warum nicht?

Ohne Training bekamen 14 Prozent der Teilnehmer innert zehn Jahren eine Demenz, bei zehn Trainingssessions à 60 bis 70 Minuten waren es immer noch 12 Prozent, und wenn jemand im Laufe der Jahre vier Auffrisch-Trainings am Computer machte, betrug sein Risiko noch immer mehr als 8 Prozent.

Ausserdem ähnelten die Aufgaben, mit denen man abklärt, ob jemand eine Demenz hat, denjenigen im Computertraining. So ist es zu erwarten, dass die Trainierten besser abschneiden, also seltener eine Demenz diagnostiziert bekommen als diejenigen ohne Training, die mit den Aufgaben quasi «überfallen» wurden.

In der Studie wurde mit dem Computer die «speed of processing» trainiert. Was ist das genau?

So bezeichnet man die Geschwindigkeit, mit der bestimmte Denkprozesse ablaufen. Aber so wie ein Computer für manche Prozesse länger braucht als für andere, unterscheidet sich auch die Geschwindigkeit bei verschiedenen Denkprozessen. So mag jemand rasch im Kopfrechnen sein, aber eher langsam im Erkennen von vertrauten Gesichtern oder Örtlichkeiten.

Das Speed-of-processing-Training wurde ursprünglich für ältere Leute entwickelt, die ihre Fahrerlaubnis nicht verlieren wollten. Es erfordert schnelle Reaktionen auf Reize im Zentrum des Gesichtsfeldes, aber auch in der Peripherie, wobei die Reize manchmal nur sehr kurz präsentiert werden. Will man prüfen, ob jemand noch Auto fahren darf, ist das ein guter Test – denn der Fahrer muss ja blitzschnell im Strassenverkehr reagieren.

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Könnten sich mit dem Computerspiel auch andere Hirnfunktionen bessern, zum Beispiel das Gedächtnis?

Leider nicht. Das mussten selbst die Organisatoren der Studie eingestehen. Wenn man die Reaktionsgeschwindigkeit verbessert, verbessert das nicht automatisch das Gedächtnis oder andere Hirnfunktionen.

«Mit Aufgaben, wie sie typischerweise von Gehirnjogging-Programmen angeboten werden, klappt die Übertragung auf andere Hirnfunktionen kaum oder gar nicht.»

Ist die Reaktionsgeschwindigkeit Demenzkranker schon früh im Verlauf der Krankheit nicht mehr so gut?

Das kommt auf die Demenzform an. Bei der Alzheimer-Krankheit bleibt zumindest die motorische Reaktionsgeschwindigkeit – man fängt einen Ball, der einem zugeworfen wird – viel länger erhalten als bei der Parkinson-Demenz. Bei der frontotemporalen Demenz reagieren die Betroffenen unter Umständen sogar rascher, dafür aber nicht immer adäquat: Sie drücken zum Beispiel eine Taste am Computer, obwohl gar kein Reiz gekommen ist.

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Bei den Probanden in der Studie arbeitete das Gehirn nach dem Computertraining schneller. Sollte man jetzt wie mein Neffe regelmässig «daddeln», um möglichst lange geistig fit zu bleiben? 

Solche Computerspiele helfen vorwiegend denen, die sie kommerziell anbieten… Man kann zwar im Spiel immer bessere Resultate erzielen, das ändert aber nichts daran, dass man nach dem Kochen ständig vergisst, den Herd auszuschalten. Um geistig fit zu bleiben, sollte man sich körperlich fit halten, sich mit anspruchsvollen Themen auseinandersetzen, aber auch Spass und Unterhaltung nicht zu kurz kommen lassen.

Massnahmen, um eine Demenz zu verhindern, sollten viel früher einsetzen als beim Aufkommen der ersten Symptome. Menschen zum Beispiel, die in ihrem Leben eine Fremdsprache gelernt haben, entwickeln im Durchschnitt später eine Demenz als solche, die nur ihre Muttersprache beherrschen2.

Neben Sprachenlernen helfen aber auch das Erlernen eines Musikinstrumentes oder soziales Engagement einem frühen geistigen Abbau vorzubeugen. Ich würde mir lieber beim Joggen im Wald einen gedanklich stimulierenden Podcast anhören, als daheim vor dem Computer zu sitzen!

Vielen Dank für das interessante Gespräch.


Prof. Peter Brugger ist Neurowissenschafter und leitet die Abteilung für Neuropsychologie am Universitätsspital Zürich.

Literatur
https://www.apa.org/news/press/releases/2016/08/active-study.pdf
Bak TH et al. Does bilingualism influence cognitive aging? Annals of Neurology 2014; 75: 959-963