Bei Demenz steigt das Risiko für Wechselwirkungen - demenzjournal.com

Problematische Pillen

Bei Demenz steigt das Risiko für Wechselwirkungen

Je mehr Medikamente jemand einnehmen muss, desto grösser ist das Risiko für Wechselwirkungen. Bild PD

Selbst jüngere Menschen kommen durcheinander, wenn sie täglich daran denken müssen, wann sie welches Medikament schlucken sollen. Bei älteren Menschen und vor allem wenn man eine Demenz hat, steigt das Risiko für Neben- oder Wechselwirkungen bei Medikamenten. Mit einfachen Massnahmen kann das vermieden werden.

Medikamente können sich gegenseitig beeinflussen. So kann zum Beispiel Medikament A den Abbau von Medikament B hemmen. Als Folge bleibt mehr vom Medikament B im Körper und wirkt länger und stärker. Anders herum kann Medikament A den Abbau von Medikament C beschleunigen – dann wirkt Medikament C kürzer und schwächer.

«Solche Wechselwirkungen können viele Medikamente verursachen», sagt Michael Wolzt von der Klinischen Pharmakologie an der MedUni Wien. «Auch schon vermeintlich harmlose wie Cholesterinsenker, Blutdruckmittel oder Blutverdünner.» Je mehr Medikamente jemand einnehmen muss, desto grösser ist das Risiko für Wechselwirkungen. 

«Bei alten Menschen kommt hinzu, dass sich der Stoffwechsel ändert – so kann auch schon ein einzelnes Medikament anders wirken als bei Jüngeren».

So lässt zum Beispiel die Nierenfunktion nach und Medikamente können nicht so schnell ausgeschieden werden. Als Konsequenz wirken sie länger. 

«Selbst Ärzte wissen über manche Wechselwirkungen nicht Bescheid», sagt Wolzt, «zum Beispiel dass bestimmte Antidepressiva, die SSRI, gemeinsam mit Schmerzmedikamenten eingenommen, das Risiko für Blutungen erhöhen, etwa eine Hirnblutung nach einem Sturz.»

Das Gehirn älterer Menschen kann empfindlicher auf Antidepressiva, Schlaf- oder Beruhigungsmittel reagieren, so dass diese Medikamente stärker wirken. Manchmal reagieren die älteren Menschen aber auch paradox, das heisst ein Beruhigungsmittel löst bei ihnen eher Unruhe aus. «Bei alten Menschen fängt man am besten mit der geringsten Dosis an und steigert dann langsam», rät Wolzt.

Bei Menschen mit Demenz sieht er immer wieder, dass sie ihre Medikamente unregelmässig einnehmen oder vergessen. «Das gehört ja leider zur Krankheit dazu, aber für die Medikation ist das problematisch, denn die Medikamente wirken dann nicht so gut.» Oder es kommt zu gefährlichen Nebenwirkungen, wenn der Betroffene die Tagesration auf einmal schluckt.

Listen und Boxen schützen vor Wechselwirkungen

Abhilfe schaffen kann eine übersichtliche Liste mit Medikamenten, die der Arzt gemeinsam mit dem Patienten und seinen Angehörigen ausfüllt und erklärt. «Da sollte man auch Vitaminpräparate und andere Nahrungsergänzungsmittel eintragen», sagt Wolzt. «Denn die können auch Wechselwirkungen verursachen.» Rechtzeitig solle man sich die neue Medikamenten-Packung besorgen, bevor die alte leer wird. «Damit es zu keinen Einnahmepausen kommt.» 

Der Arzt schlägt seinen Patienten eine Plastic-Box vor, wo jeweils die Medikamente für morgens, mittags und abends in kleine Kästchen gelegt werden. «Da sieht man am besten, ob der Patient die Tabletten eingenommen hat. Hat er aber mal vergessen, die Tabletten einzunehmen, soll er später nicht die doppelte Dosis nehmen.» 

Medikamente sollte man nie teilen, wenn es nicht ausdrücklich vorgesehen ist, also wenn zum Beispiel kein Bruchspalt eingestanzt ist. «Tabletten oder Kapseln nie selbständig zerkleinern, zermahlen oder teilen», sagt Wolzt. «Einige Medikamente sind extra mit einer Hülle ummantelt, damit sie sich erst im Darm und nicht im Magen auflösen. Sonst werden die Inhaltsstoffe durch Magensäure und die Verdauungsenzyme zerstört und das Medikament wirkt nicht.»

Eine europaweite Studie für ältere Menschen

Trotz sorgfältiger Medikation kann es dazu kommen, dass Patienten Nebenwirkungen durch die Medikamente bekommen oder dass Wechselwirkungen auftreten, von denen der Arzt vorher nichts wusste. Oder es stellt sich heraus, dass das Medikament für den Betroffenen gar nicht das richtige war.

Das ist vor allem ein Problem bei älteren Menschen, denn die werden in Studien oft nicht eingeschlossen und man weiss daher nicht, ob die in den Studien untersuchten Medikamente auch bei ihnen genauso gut wirken wie bei jüngeren.

Drei von hundert Todesfällen sind darauf zurückzuführen, dass die Betroffenen nicht die richtigen Medikamente bekamen oder dass sie Nebenwirkungen erlitten haben. Muss ein Patient ins Spital, liegt das in jedem dritten Fall daran, dass er nicht die passenden Arzneien erhalten oder sie unregelmässig eingenommen hat.

«Eine falsche Medikation kann gefährlich sein», sagt Nicolas Rodondi, Chefarzt an der Uniklinik für Allgemeine Innere Medizin im Inselspital in Bern. «Abgesehen davon verursachen die unnötigen Spitalaufenthalte Kosten in Millionenhöhe». Rodondi sieht jedes Jahr Dutzende Patienten, bei denen es zu Medikamenten-Zwischenfällen gekommen ist – vor allem Ältere. Denen möchte er mit seinem OPERAM-Forschungs-Projekt helfen, gesponsert von der Europäischen Union in sieben Ländern (siehe unten). 


OPERAM: Per Computer Zwischenfälle vermeiden

Nicolas Rodondi, Chefarzt an der Uniklinik für Allgemeine Innere Medizin im Inselspital in Bern, will herausfinden, ob man mit bestimmten Massnahmen, unter anderem einem Computerprogramm, die medikamentöse Therapie bei alten Menschen mit mehreren Krankheiten verbessern und Spitaleinweisungen vermeiden kann.

Im Computerprogramm sind die Daten des Patienten gespeichert, unter welchen Krankheiten er leidet und wie seine aktuellen Werte sind, etwa Blutdruck oder Nierenfunktion. Der Arzt verbindet aus einer Liste die Medikamente des Patienten und mit den jeweiligen Krankheiten und der Arzt bekommt Rückmeldung vom Computer. «So sieht er auf einen Blick, gegen welches Problem welches Präparat wirken soll, welches Medikament zu viel ist und welches fehlt, und er kann die Therapie optimieren», erklärt Rodondi.

Der Computer schlägt dann beispielsweise Medikamente vor, die der Arzt hinzufügen sollte oder die überflüssig sind und warnt ihn, wenn ein Medikament nicht gegeben werden darf, etwa weil die Niere des Patienten nicht mehr so gut arbeitet. Das Programm alarmiert ihn auch, wenn zwischen zwei Präparaten Wechselwirkungen auftreten, die zum Beispiel gefährliche Herz-Rhythmus-Störungen auslösen können und kontrolliert die korrekte Dosis. «Schneidet unser Programm in der Studie gut ab, könnten wir die Lebensqualität der Patienten verbessern, Spitaleinweisungen vermeiden und die Gesundheitskosten senken», sagt Rodondi.

Ältere Studien zu dem Thema untersuchten oft nur wenige Teilnehmer in einzelnen Ländern, Rodondis OPERAM-Projekt aber 1900 in mehreren Staaten. Seine Studienteilnehmer sind meist älter als 70 bis 75, haben mehrere Krankheiten und nehmen viele Medikamente ein. «Wir untersuchen also genau die Personengruppe, für die wir später Ergebnisse haben wollen», sagt Rodondi. «Ich bin sicher, wir werden durch unser Projekt vielen älteren Menschen unnötige Nebenwirkungen oder Spitaleinweisungen ersparen.»

Quellen:
Mahony D. et al. : STOPP/START criteria for potentially inappropriate prescribing in older people: version 2. Age and Ageing 2014; 0: 1–6.:  http://ageing.oxfordjournals.org