Herr K. hält den gestreckten Zeigefinger an die Lippen. Er will Ruhe haben, während er an der Kaffeemaschine hantiert. Auskunft könne eh nur seine Frau geben, er wisse nicht Bescheid, sagt der gutaussehende 75-jährige Mann mit den sorgfältig nach hinten gekämmten weissen Haaren. Den Frühstückstisch hat Herr K. wie ein Profi gedeckt: Geschirr, Besteck, Brot, Margarine und Gruyère liegen bereit. Noch dauert es ein paar Minuten, bis er mit seiner Frau frühstücken kann.
Frau K. ist 78 und hat zwei künstliche Kniegelenke. Sie liegt im Zimmer nebenan und lässt sich von der diplomierten Pflegefachfrau Johanna Koren die Beine verbinden, damit sie im Laufe des Tages nicht anschwellen. Bei Herrn K. hat der Arzt kürzlich eine Demenz diagnostiziert.
Das Paar ist vor einem Jahr an die Schönbodenstrasse gezogen, weil es an ihrem früheren Wohnort keinen Lift gab. Noch funktioniert die Schicksalsgemeinschaft: Frau K. hat einen gesunden Geist, Herr K. einen gesunden Körper, ein Sohn macht mittwochs den Wocheneinkauf – und die Spitex sorgt für die medizinische Versorgung. Die Mitarbeiterinnen der Spitex sollen auch darauf achten, wie es den betreuenden Angehörigen geht.
Manchmal überfordern diese sich mit der höchst anspruchsvollen Aufgabe. Rund 50 Prozent der Angehörigen, die zu Hause Menschen mit Demenz betreuen, werden selbst krank. Wenn Koren eine Überforderung feststellt, zeigt sie Entlastungsmöglichkeiten auf oder vereinbart einen Termin mit den Beraterinnen der Drehscheibe. Entlastung können zum Beispiel regelmässige Aufenthalte in der Tagesstätte Grünfels bringen. Auch der Austausch mit anderen Angehörigen kann weiterhelfen.
«Empathie» heisst das Zauberwort
Zu Herrn T.s Haus an der Busskirchstrasse hat Johanna Koren einen Schlüssel. Der 98-Jährige schläft noch, als sie morgens um halb neun kurz klingelt und die Tür öffnet. Herr T., der seit dem Tod seiner Frau vor vier Jahren allein lebt, freut sich über den Besuch. Er geht mit Koren in den unteren Stock, wo sie ihm bei der Köperpflege hilft.
Als er wieder aus dem Bad kommt, ist seine gute Laune verflogen. Koren lüftet die Stube nicht so, wie er es gerne hätte. Herrisch korrigiert er die Frau, die seit 1994 an verschiedenen Orten für die Spitex im Einsatz ist.
Koren ist Profi genug, um mit Herrn T.s manchmal schwierigem Verhalten umzugehen. «Empathie» heisst das Zauberwort bei der Betreuung von Menschen mit Demenz. Gefühle sollen geteilt werden, Zurechtweisungen und Ratschläge bringen nichts, da der Betroffene sofort wieder vergisst und «keine Schuld» trägt an seinem Verhalten. Als Herr T. eine Pfanne mit Wasser auf den Herd setzt, bessert sich seine Laune wieder. Er erzählt vom kleinen Handelsgeschäft, das er mit seiner Frau geführt hat.
Sein Langzeitgedächtnis funktioniert bestens, doch was kürzlich geschah, vergisst er immer wieder. Herr T. wehrt sich dagegen, indem er Notizen macht, die im Haus verteilt sind. Auf der Treppe liegt eine Schachtel mit unzähligen farbigen Zetteln.
«Helfen Hosenträger anbringen», heisst es auf einem. «Toilette leren, Kabel versorgen», auf einem anderen. Herr T. hat neben seinem Bett ein Camping-Klo, damit er nachts nicht in den unteren Stock gehen muss. Die Mitarbeiterinnen der Spitex leeren es einmal wöchentlich.